027 - Das Gesicht im Dunkel
angestellt haben?«
»Gehört habe ich von ihm.«
»Gucken Sie ihn sich genau an!« lachte Stormer und legte auf.
Er kicherte noch vor sich hin, als er zu Tisch ging. Er speiste in Audreys Hotel, und nach dem Essen schlenderte er in die Halle hinaus und fragte einen Angestellten: »Haben Sie noch ein Zimmer frei? Ich merke eben, daß ich heute nicht mehr nach Hause kommen kann.«
Der Mann schlug im Register nach. »Sie können Nummer 461 haben, Sir.«
»Das ist mir zu hoch. Ich möchte ein Zimmer im zweiten Stock.«
Wieder blätterte der Mann. »250 und 270 sind frei.«
»Schön, denn geben Sie mir 270. Siebzig ist meine Glückszahl.«
Audreys Zimmernummer war 269.
25
Audrey war den ganzen Tag unterwegs gewesen, um sich Arbeit zu verschaffen. Dick Shannon hatte sie nichts davon gesagt, denn sie hatte ihn so gern, daß sie davor zurückscheute, seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Diesmal hatte sie sich an den Redakteur eines Blattes gewandt, für das sie früher zuweilen Artikel über Hühnerzucht geschrieben hatte, und dieser hatte sie auf ihre Anfrage hin kommen lassen und ihr eine Stellung in der Redaktion seiner Fachzeitung angeboten. Das Gehalt war nicht hoch, und sie verwandte den letzten Teil des Tages darauf, eine Wohnung zu suchen. Zu ihrer Freude fand sie in der Nähe der Redaktion ein freundliches Zimmer. Sie teilte gleich bei ihrer Rückkehr dem Geschäftsführer des Hotels mit, daß sie ihr Zimmer aufgeben werde.
Gegen Abend sprach Dick Shannon bei ihr vor, der durch einen seiner Leute von ihrem bevorstehenden Umzug benachrichtigt worden war. Sie war etwas betreten, als er ihr verriet, daß er über alles, was sie getrieben hatte, Bescheid wußte, sagte dann aber: »Es ist mir doch lieb, daß Sie gekommen sind. Ich wollte Ihnen etwas zeigen.«
Sie öffnete ihre Handtasche, holte den kleinen ›Kieselstein‹ heraus und legte ihn auf seine ausgestreckte Hand. Dick starrte den kleinen Gegenstand mit offenem Mund an, drehte ihn hin und her und prüfte das Siegel.
»Wo in aller Welt haben Sie den her?« rief er ganz bestürzt.
Sie erzählte es ihm und fragte dann: »Was ist es denn?«
»Ein Diamant - noch ungeschliffen. Er wird ungefähr achthundert Pfund wert sein.«
Audrey war starr. »Ist das wirklich wahr?«
»Ja, ganz gewiß, und das Siegel ist von der Minengesellschaft. Darf ich ihn behalten?«
»O bitte, tun Sie das!«
»Weiß irgend jemand davon?«
»N-nein«, sagte sie nachdenklich, »höchstens Herr Malpas. Neulich, als ich unten um meinen Zimmerschlüssel bat und der nicht da war, nahm ich alles, was in meiner Tasche war, heraus und legte es auf den Tisch; ich fand den Schlüssel in dem zerrissenen Taschenfutter.«
»Und da wird er den Diamanten gesehen haben - er oder einer seiner Agenten!« rief Dick erregt. »Deshalb versuchte er wohl gestern, Sie zu fassen.«
Audrey seufzte, als sie wieder allein war. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich nach ihrem Hühnerhof in Fontwell zurückgesehnt. Aber es war immerhin ein Trost, daß sie neue und nicht unangenehme Arbeit gefunden hatte, und so schlief sie denn bald ein. Sie erwachte nach ein paar Stunden, als etwas Kaltes, Klebriges ihr Gesicht berührte.
»Audrey Bedford, ich komme, dich zu holen«, sagte eine hohle Stimme.
Mit einem Schrei fuhr sie empor. Es war ganz dunkel.
Über ihrem Kopf schwebte scheinbar in der Luft ein matt und sonderbar beleuchtetes Gesicht!
Sie starrte wie versteinert in das schmerzverzerrte Antlitz Lacy Marshalts!
»Die junge Dame hat einen schlimmen Nervenanfall gehabt. Ich habe nach einem Arzt und einer Krankenschwester telefoniert.«
»Wissen Sie, was ihr zugestoßen ist?« fragte Dick. Er stand im Pyjama neben seinem Bett und hielt den Hörer in der Hand.
»Nein, Captain. Der Nachtportier hörte im zweiten Stock einen gellenden Schrei, und als er hinaufrannte, stand Fräulein Bedfords Tür offen. Er sah, daß sie ohnmächtig war, und ließ mich holen. Ich war unten in der Halle.«
»Keine Spur von Malpas?«
»Nicht die geringste, Sir. Irgend jemand muß wohl versucht haben, sie zu überfallen, denn der Herr, der nebenan wohnt, wurde besinnungslos am andern Ende des Ganges aufgefunden. Er muß mit einem Gummiknüppel einen Hieb über den Kopf erhalten haben und ist ins Krankenhaus gegangen, um sich verbinden zu lassen.«
Nach fünf Minuten traf Dick im Hotel ein, und inzwischen hatte Audrey sich ein wenig erholt. Sie saß in einem Morgenrock am Gasofen - sehr blaß, aber vollkommen
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