0274 - Nadine Bergers Geheimnis
mit dem verzweifelten Schreien und Wehklagen.
Die unheimlichen Laute wurden von den kahlen Wänden zurückgeworfen und hätten einen Menschen in den Wahnsinn treiben können.
Den Kopf hatte Lupina in den Nacken gelegt. Noch immer zeigte ihr Gesicht menschliche Züge, aber das, was da aus dem Mund drang, war das verzweifelte Schreien einer Bestie, die nicht mehr wußte, wie es weitergehen sollte.
Die leuchtenden Zeichen an den Wänden und Säulen warfen ihren Widerschein über die Gestalt der Wölfin und hüllten sie in ein farbiges Muster.
Auch das Dreieck auf dem Boden leuchtete wieder intensiv. Die Magie hier hatte sich regeneriert, war wieder bereit zum Einsatz, und das wollte Lupina auch.
Abrupt stoppte sie ihr Wehklagen. Mit einem Schlag praktisch hörte es auf, nur noch ein Echo schwang durch den Bunker, das aber allmählich verstummte.
Es wurde still.
Lupina empfand diese Stille als bedrückend. Sie näherte sich den Knochen, sah die eingetrocknete Lache um die Reste herum und kratzte mit den Krallen darüber.
Wie kleine Kristalle fühlten sich die Reste an, und sie zerbröckelten zwischen ihren Klauen.
Lupina war ratlos. Sie wußte nicht, wie es hatte möglich sein können, daß jemand ihren Sohn tötete, ohne daß dieser sich gewehrt hatte. Wer besaß eine so furchtbare Waffe, um Wesen auf diese Art umbringen zu können?
Lupina schüttelte den Kopf. Sie war tatsächlich ratlos und hätte schon ein Orakel befragen müssen, um eine Antwort zu erhalten. So aber blieb sie im Unklaren über das, was hier geschehen war.
Sie ging zurück. Noch immer war ihr Gesicht verzerrt. Diesmal zeigte es auch Wut und Haß auf den Mörder. Sie wollte ihn zur Rechenschaft stellen und ihn grausam töten. Obwohl sie es nicht wußte, ahnte sie dennoch, daß als Mörder ihres Sohnes eigentlich nur jemand aus dem Sinclair-Team in Frage kam. Sollte es denen vielleicht gelungen sein, den Würfel des Unheils in die Hände zu bekommen, denn die Spuren wiesen darauf hin, daß der Todesnebel Luparo getötet haben konnte.
Dieser Gedanke erschreckte sie. Wer den Würfel des Unheils besaß, war so gut wie unbesiegbar, und Lupina glaubte nicht, daß die Magie der Wölfe dagegen ankam.
Diese Magie war die älteste überhaupt. Wenigstens kannte Lupina keine, die vor ihr gewesen war, und wenn sie ihren Sohn rächen wollte, mußte sie diese Magie in Anspruch nehmen und zu ihrer vollen Stärke aktivieren.
Die Königin der Wölfe wandte sich dem Dreieck zu, dessen Seiten rot leuchteten. Es besaß genau die Kraft, die Lupina brauchte. Sie würde wieder in diesen Zeittunnel eintauchen, um in einer Zeit Kraft zu tanken, die sie in der Gegenwart einsetzen wollte. Sie mußte die alten Plätze finden, wo die Wolfsmagie entstanden war, wobei sie hoffte, daß diese noch existierten, wenn sie jetzt eine Zeitreise unternahm, denn auch vor der Existenz der eigentlichen Menschheit hatte es schon Feinde gegeben, wobei die Wolfsmagie aber stärker gewesen war.
Die Königin der Wölfe wußte genau, daß sie auch scheitern konnte. Sie stand jetzt an einem Scheideweg. Klappte alles, konnte sie wieder hoffen.
Wenn nicht, dann — sie dachte nicht mehr weiter, sondern betrat das Dreieck.
Lupina konzentrierte sich. Wieder einmal bog sie ihren Raubtierrücken durch, hob den Kopf, streckte die Pfoten aus und schaute starr auf die Spitze des Dreiecks.
Sie merkte die Kraft, die an ihr zerrte. Es war wie ein Kribbeln, das über ihre Haut fuhr und einen Schauer auf dem Fell hinterließ, so daß es sich sträubte.
Lupina wollte alles!
Sie mußte sich stark konzentrieren. Geheimnisvoll und unheimlich glühten die Wände und Säulen an den bezeichneten Stellen, und Lupina merkte, daß die Kraft allmählich stärker wurde.
Was um sie herum geschah, sah sie nicht.
Sie schaute nicht mehr zur Treppe und bemerkte deshalb nicht den Körper des Wolfes, der sich dort im Schlagschatten der Wand zusammengekauert hatte.
Es war ein Tier mit der Seele eines Menschen und mit menschlichen Augen. Sogar einen menschlichen Namen besaß das Tier.
Nadine Berger…
Sie wartete ab. Den ganzen Weg über hatte sie Lupina verfolgt, war dabei Abkürzungen gelaufen und hatte es geschafft, den Wagen immer wieder einzuholen.
Jetzt lauerte sie.
Auch Nadine spürte, daß es bald soweit war. Sie drückte ihren Oberkörper hoch, stand auf den zitternden Beinen und merkte, wie die Umrisse der Lupina allmählich schleierhaft wurden.
Jetzt oder nie — so lautete Nadines Devise. Und
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