0276 - Ghouls in der Stadt
fröhlich, als er ausstieg. »Mädchen, das ist ja ein Traumwagen, ein richtiges Schiff. Darf man fragen, was so etwas kostet?«
Nicole zuckte mit den Schultern. »Zu viel … du könntest die Koffer tragen.«
»Mit Vergnügen«, schrie Henri. Sein Vergnügen schwand in erheblichem Maße, als er die Anzahl der Koffer sah. »Das gehört alles dir?«
»Nun ja«, gestand Nicole und betrat den Gastraum.
Nur in einer Ecke saßen ein Mann und eine Frau, wahrscheinlich Touristen, die es auf der Durchreise hierher verschlagen hatte. Ihre Köpfe ruckten herum, als sie das restlos verdreckte und unkenntliche Mädchen sahen, das das Gasthaus betrat und ein Doppelzimmer mit Dusche verlangte.
Die wohlbeleibte Wirtin maß Nicole von Kopf bis Fuß, streckte den Arm aus und deutete wortlos auf die Tür.
Da kam Henri herein. Er setzte die ersten zwei Koffer ab. »Welches Zimmer?« fragte er.
»Was schleppst du mir denn da für ein verdrecktes Subjekt heran?« keifte die Wirtin. »So kommt die mir nicht ins Haus!«
»Und ob«, sagte Nicole scharf. Sie griff in die Tasche, fischte einen sehr großen Geldschein heraus und warf ihn auf die Theke. »Doppelzimmer mit Dusche. Sofort«, verlangte sie.
Das Geld brachte die Wirtin ins Schwanken.
»Die Demoiselle hatte draußen vor dem Ort ein wenig Pech«, erklärte Henri.
»Sie soll mir aber nicht das ganze Haus versauen«, sagte die Wirtin. Sie warf Henri einen Schlüssel zu. »Bring sie hinauf. Die Dusche gibt’s nur auf der Etage. Die Formalitäten erledigen wir, wenn sie sauber ist.«
Das Pärchen am Tisch im Hintergrund hatte derweil einen neugierigen Blick aus dem Fenster geworfen und den Mercedes entdeckt. Entsprechend neidvolle und wunderliche Kommentare folgten Nicole, als sie die schmale Treppe hinaufschritt und bei jedem Tritt Erdklümpchen zurückließ. Mißbilligend grunzte die Wirtin. Aber für den sündhaften Betrag, den Nicole so lässig auf den Tisch geworfen hatte, konnte man schon mal eine Extra-Putzstunde einlegen.
»Stell die Koffer ins Zimmer«, wies Nicole ihren freundlichen Helfer an, »mach den roten auf und bring mir das große Frotteetuch zur Dusche. Sei so lieb, ja?«
Sie fand die Dusche, fetzte sich das verschmutzte Leder vom Körper und genoß das brausende kalte und heiße Wasser. Wer anschließend nicht kam, war Henri.
Also spazierte Nicole tropfnaß und nackt hinüber zum Zimmer, dessen Tür angelehnt war, gerade als die Wirtin mit Putzeimer und Schrubber die Treppe erreichte. Ein gequältes »Oh« war die Folge. Nicole quittierte es mit einem Schulterzucken und betrat ihr Zimmer. Sekunden nach dem Schließen der Tür hämmerte es gegen dieselbe. Nicole öffnete einen Spalt und sah sich dem Erzdrachen Aug’ in Aug’ gegenüber.
»So geht das aber nicht«, keifte die fette Wirtin empört. »Das ist hier ein anständiges Haus!«
»Das will ich aber auch schwer hoffen«, entgegnete Nicole, hämmerte die Tür wieder zu und drehte den Schlüssel herum. »He, Sie!« schrie der Hausdrachen. »Ziehen Sie sich sofort was an!«
»Sobald sie mich dazu kommen lassen«, versicherte Nicole.
Henri saß da, das zusammengerollte Frotteetuch in der Hand, und grinste sie vergnügt an. Nicole riß es ihm aus der Hand und begann sich abzutrocknen. »Genug gesehen?« fragte sie schließlich und begann in den Koffern zu wühlen.
»Du bist noch süßer, als ich dachte. Ich möchte dich wirklich malen«, versicherte Henri.
»Mach dir keine Mühe. Ich bin in festen Händen.« Nicole wählte einen weißen, engen Overall und weiße Tennisschuhe. Mit sichtlichem Bedauern sah Henri ihre prachtvolle Schönheit unter der Kleidung verschwinden. »Und jetzt erzähl mal«, sagte er. »Worum geht es wirklich? Warum warst du auf dem Acker eingegraben?«
Nicole winkte ab. Sie trat vor ihn.
»Du bist ein netter Junge, Henri«, sagte sie. »Ich danke dir, daß du mir geholfen und wohl das Leben gerettet hast, und deshalb darfst du dir was wünschen – nur nicht das eine, was nur mein Lebensgefährte darf. Aber stell bitte keine Fragen mehr. Ich möchte nicht, daß dir etwas passiert. Am besten hältst du dich aus allem heraus, bis es vorbei ist.«
»Meinen Wunsch kennst du«, sagte Henri.
Nicole nickte. »Okay, du darfst mich malen – aber mehr nicht. Und auch erst, wenn die Sache vorbei ist, deretwegen ich hier bin. – Wo finde ich dich und dein Atelier?«
Henri Dupont lächelte enttäuscht. »Das ist eine Art Rausschmiß, nicht? Nein, ich nehme es nicht
Weitere Kostenlose Bücher