0276 - Ghouls in der Stadt
und symmetrisch angelegt. Und wenn Sie die Haltefäden dieses Netzes verlängern – sagen wir mal in dieser Richtung, und dann einen neuen Knotenpunkt setzen … das ist die Stelle, wo wir überfallen wurden.« Sie verlängerte auch die anderen Spinnennetzlinien und zeichnete kleine Markierungskreuze ein. »Das hier sind gefährdete Stellen«, sagte sie. »Hier überall können Öffnungen sein, aus denen Ghouls ans Tages- oder Nachtlicht gelangen. Sie wären gut beraten, wenn Sie dort Wachtposten aufstellen würden, aber die müssen in der Lage sein, sich mit Feuer zu wehren. Feuer ist mithin eines der wenigen Mittel, mit denen man einen Ghoul abwehren oder gar töten kann.«
»Ist das nicht alles ein wenig Spinnerei?« fragte Heury zweifelnd.
»Es ist Logik«, versetzte Nicole. »Reine, kalte Logik. Ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, mehr kann ich nicht tun. Noch etwas – sorgen Sie bitte dafür, daß ich jederzeit freien Zutritt zu diesem Friedhof habe.«
»Wenn es Sie glücklich macht und Sie keinen Reporter einschleppen …«
Nicole betrachtete das Kartenbild und stutzte. Zwei der Punkte befanden sich ziemlich nahe bei eingezeichneten Häusern, ein dritter direkt an einem Haus. Sie las die Straßenbezeichnung und stutzte. »Was für eine Hausnummer kann das sein?« erkundigte sie sich ahnungsvoll.
Heury nannte sie aus dem Gedächtnis. Er wußte in etwa, in welcher Richtung die Hausnummern jeder Straße des kleinen Ortes liefen und wo die geraden und ungeraden Zahlen waren.
Nicole erschrak.
Sie erinnerte sich an die Adresse. Es war die, die auf Henri Duponts Kärtchen stand.
***
In der Tiefe des unterirdischen Labyrinthes fanden sich sieben Ghouls zusammen. Sie wußten, was sie zu tun hatten. Zamorra war ihr Gefangener, und daraus wollten sie Kapital schlagen. Diese Sieben wußten um die Beschwörungsformeln. Sie gruben die Zeichen in den Boden und begannen mit der Zeremonie.
Ein Sterblicher hätte Blut vergießen müssen, um das zu erreichen, was die Ghouls bezweckten. Nur die Macht warmen Blutes hätte es ermöglicht. Die Ghouls aber waren selbst von dämonischer Art. In ihnen war die Kraft der Schwarzen Magie, die das Unnennbare weckte.
Sie riefen. Sie schrien die Formeln und Beschwörungen, und die Macht erstarkte und rief nach jenem, der sie erhören sollte.
Nach jenem, der der Fürst der Finsternis genannt wurde.
Asmodis.
***
Nicole stoppte den Mercedes unweit des Hauses, in dem Henri Dupont Wohnung und Atelier eingerichtet hatte. Sie sah an dem Gebäude empor. Es war dreistöckig, und Dupont wohnte unter dem Dach. Wahrscheinlich war ein Teil dieses Daches verglast, damit er in seinem Maleratelier genug Licht bekam.
Aber dahin wollte Nicole im Moment gar nicht. Sie interessierte sich für die Stelle, wo die Ghouls unter Umständen hervorbrechen konnten. Daß das Haus nicht nur von Dupont bewohnt wurde, machte die Sache nicht ungefährlicher. Nicole stieg aus, schob vorsichtshalber die Kombiwaffe in eine Tasche ihres weißen Overalls und näherte sich dem Haus. Ganz unauffällig war diese Taschenausbeulung nicht, da die weiße Montur wie eine zweite Haut anlag, aber so fühlte Nicole sich sicherer.
Das Haus stand direkt an der Straße; die Front schloß am Gehsteig ab. Die Nachbarbauten schlossen dicht auf, nur abgetrennt durch Garagenzufahrten zum Hinterhof. Entschlossen betrat Nicole eine dieser Zufahrten und ging um das Haus herum. Der Hinterhof war asphaltiert. Überall fester Boden. Einen Garten gab es nicht. An dieser Stelle zeigte sich Fleury-sur-Loire als Stadt.
Keine Chance für Ghouls, aus dem Boden zu steigen – es sei denn, sie durchbrachen den Asphalt. Aber diese Schleimer waren dafür bekannt, daß sie stets den Weg des geringsten Widerstandes gingen.
Nicole vergegenwärtigte sich den Maßstab des Stadtplans. Dort, wo wieder lockerer Boden auftauchte, konnte sich kein Ghoul-Tunnel mehr befinden, sofern diese Wege tatsächlich strahlenförmig von einem Mittelpunkt ausgingen. Das hieß, daß es hier keinen Ausstieg für die Leichenfresser gab.
Keine Gefahr für Henri Dupont.
Erleichtert wandte Nicole sich um und kehrte zum Wagen zurück. Sie fuhr zu Pierre Devon.
***
Der Fürst der Finsternis spürte den Ruf. Asmodis fühlte den Sog, der aus dem Irgendwo kam und an ihm zu zerren begann. Man rief ihn. Die magische Kraft baute sich auf, wurde stärker und stärker und verlangte nach ihm.
»Ich werde beschworen«, murmelte er überrascht.
Es geschah nicht oft,
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