0276 - Ghouls in der Stadt
hatte sich keiner verkleidet, um ihm einen bösen Schreck einzujagen. Dieses wabbelige, stinkende Ungeheuer war echt.
Henri schleuderte ihm den brennenden Vorhang entgegen.
Der Ghoul schnellte sich zurück. Aber er war zu langsam. Der Vorhang erwischte ihn dennoch. Die Flammen berührten ihn. Der Ghoul kreischte und schleuderte den Stoff von sich. Dann stürmte er vorwärts, glitt kreischend über den Vorhang hinweg und löschte dabei die Flammen. Mit der Vehemenz einer Dampfwalze jagte er auf Henri Dupont zu, der direkt vor dem Fenster stand.
Henri war totenblaß, aber er erkannte im Bruchteil einer Sekunde die winzige Chance, die er hatte. Er wartete auf den Ghoul, und als der fast bei ihm war, schnellte er sich zur Seite.
Der Ghoul knallte vor die Fensterbrüstung. Sein massiger, hoher und wuchtiger Körper schmetterte gegen das Fensterglas. Klirrend flog es nach draußen, segelte in die Tiefe. Der Ghoul versuchte sich noch abzustemmen, breitete die Arme aus, aber auch diesmal war er nicht schnell genug. Er verlor das Gleichgewicht und kippte über die Fensterkante nach draußen.
Er kreischte immer noch.
Henri Dupont stand nur einen halben Meter neben ihm. Es kam ihm wie in einem Alptraum vor, oder wie in einem Horrorfilm. Das Ungeheuer wurde vom eigenen Schwung durch das große Fenster gehebelt und kippte nach unten weg.
Aber Henri kam nicht dazu, zu triumphieren.
Der Ghoul strampelte mit den Beinen. Eines davon hakte sich überraschend um Henris Oberkörper und nahm ihm das Gleichgewicht. Der Ghoul kippte jetzt schneller als zuvor, und ehe Henri begriff, wie ihm geschah, wurde er bereits mitgerissen.
Mit einem lauten Angstschrei folgte er dem Leichenfresser in die Tiefe.
Zwölf Meter unter ihm befand sich der asphaltierte Boden.
***
Pierre Devon fuhr auf, als er das leise Klicken an der Wohnungstür hörte. Jemand schloß von außen auf.
Aber er konnte sich nicht entsinnen, Yvonne den Schlüssel mitgegeben zu haben. Er hatte das nämlich vergessen. Außerdem war draußen kein Citroën 2 CV vorgefahren. Den lauten Rasenmäher-Motor hätte er nämlich hören müssen. Da war nur eine ziemlich leise Luxuslimousine vorbeigeflüstert.
Da stimmte etwas nicht.
Ein Einbrecher, der sich irgendwie einen Nachschlüssel beschafft hatte.
Mit einem Sprung war Pierre im Schlafzimmer. Da war noch das Gewehr, und zwar in geladenem Zustand. Pierre entsicherte es und kehrte in den Flur zurück.
Da schwang gerade die Wohnungstür auf. Draußen war es dunkel, und so sah Pierre nur den Umriß einer hochgewachsenen, männlichen Gestalt. Er nahm das Gewehr in Hüftanschlag. Auf diese kurze Entfernung konnte er den Eindringling unmöglich verfehlen, auch wenn er nicht zielte. Denn was da vorn am Lauf saß, war ein Leuchtgeschoß. Und das mußte geradezu verheerende Wirkung nach sich ziehen.
»He, nicht schießen«, sagte der Fremde erschrocken und trat ins Licht.
»Ich werd’ verrückt – Gus«, stieß Pierre hervor. »Was soll das denn? Was willst du hier? Kannst du nicht klingeln?«
Gustave Heury räusperte sich. »Ich dachte, du wärst nicht zu Hause, und wollte mich vergewissern«, sagte er. »Vielleicht ist deine Klingel defekt, daß du sie nicht gehört hast. Oder du hast geschlafen.«
»Wohl kaum«, knurrte Pierre wenig überzeugt. »Was willst du? Warum schleichst du dich ein wie ein Dieb? Woher hast du überhaupt den Schlüssel?«
Heury winkte ab. »Später, mein Freund. Ich habe eine wichtige Nachricht für dich. Stell endlich das verdammte Gewehr weg, ich fresse dich schon nicht auf.«
Pierre ging zum Wohnzimmer, behielt das Gewehr aber in der Hand. Etwas stimmte hier nicht. Mit einem Nachschlüssel einzudringen, war gar nicht Heurys Art, dazu kannte der junge Mann den Polizeichef zu gut. Heury betrat das Wohnzimmer jetzt ebenfalls. Pierre sah ihn finster an.
»Spuck’s aus. Weshalb bist du gekommen? Hättest du nicht auch anrufen können?«
»Wo ist das Mädchen von letzter Nacht?« fragte Heury unvermittelt. »Ich muß es wissen.«
»Warum?«
»Mit dem Mädchen stimmt etwas nicht«, brummte Heury.
»Verdammt, wenn du dich nicht in den nächsten zehn Sekunden allgemein verständlich ausgedrückt hast, prügele ich dich windelweich«, bellte Pierre. »Oder ich lasse dich von deinen eigenen Leuten festnehmen. Immerhin bist du eingedrungen wie ein Dieb! Verdammt, was ist mit dir los, Gus? Und was soll mit Yvonne sein? Warum interessiert sich die Polizei für sie? Sie hat nichts
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