0276 - Ghouls in der Stadt
bediente sich an seiner kleinen Hausbar. Er trank den Wein in langsamen Schlucken und ließ sich dann in einen Korbsessel fallen.
Morgen früh, dachte er, schaue ich mal im Gasthof herein und sehe nach, ob sie da ist und wie weit die Sache gedeiht!
Und zwangsläufig mußte er auch an diesen Zamorra denken, von dem sie gesprochen hatte. Der Mann mußte ja zu beneiden sein.
Henri Dupont kam ins Träumen. Seine Gedanken bewegten sich immer weiter fort. Fort von diesem Haus, fort von Fleury-sur-Loire in eine fantastische Paradieswelt, in der ein Mädchen wie Nicole Duval leben mußte. Das Bild, das er malen wollte, nahm vor seinem geistigen Auge mehr und mehr Gestalt an.
Im Keller des Hauses nahm etwas anderes Gestalt an. Hier führte einer der Gänge entlang, die von den Ghouls voran getrieben worden waren. Draußen hatte Nicole bei ihrem nachmittäglichen Kontrollblick keine Öffnung entdecken können, die in die Unterwelt führte. Kein Wunder, weil es diese Öffnung hier nicht gab. Sie befand sich statt dessen im Innern des Hauses.
Die Witwe Thelaine besaß einen Kartoffelschacht, der mit Holzbohlen abgedeckt war. Daß da unten längst keine Kartoffeln mehr lagen, ahnte nicht einmal die ehrbare Witwe, weil sie längst nicht mehr in der Lage war, die Holzbohlen anzuheben. Man wird schließlich nicht jünger und sportlicher in all den langen Lebensjahren.
Eine gelblichgrün schimmernde, stinkende Gestalt schob sich in das Kartoffelloch, drückte mit seiner Körpermasse die Bohlen hoch, schob sie zur Seite und kletterte in den Kellerraum. Der Ghoul hatte keine Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Die Regale mit den Einmachgläsern störten ihn nicht, auch nicht das halbverrostete Fahrrad und sonstiger Kleinkram. Seine tückischen Augen hefteten sich auf die schwere Holztür mit dem eisernen Doppelriegel, der von außen per Schlüssel betätigt werden konnte und sich innen wie außen vor die Tür schob.
Der Ghoul wuchtete seine Körpermasse auf die Tür zu. Der kurze Anlauf, den er nahm, reichte aus. Krachend zersplitterte das Holz. Beim zweiten Rammstoß brach die Tür nach außen weg, und der Ghoul wälzte sich in den schmalen, dunklen Gang.
So wabbelig diese höllischen Kreaturen auch aussahen, so verfügten sie doch über ungeheuere Muskelstränge und Kraft. Der Ghoul glitt auf die Kellertreppe zu und arbeitete sich empor. Nichts hielt ihn auf. Er sah im Dunkeln besser als eine Katze.
Die Tür am oberen Ende der Treppe war nicht verschlossen.
Der Ghoul schlüpfte hindurch und verharrte. Mit seinen Dämonensinnen lauschte er. Doch das dreistöckige Haus war so gut wie ausgestorben. Der Vermieter befand sich mit seiner ganzen Familie in Urlaub, die Witwe Thelaine befand sich zu Besuch bei einer ebenfalls verwitweten Freundin …
Aber ganz oben befand sich jemand. Der Ghoul roch es förmlich. Da lebte jemand.
Der Leichenfresser setzte sich in Bewegung. In ihm bohrte der Hunger. Er würde morden müssen. Sein teuflischer Trieb wurde immer stärker.
Der Ghoul glitt die Treppe hinauf und hinterließ eine schleimig glitzernde Spur.
Oben befand sich der ahnungslose Henri Dupont.
***
Gustave Heury ließ den laubfroschgrünen Talbot Solara hinter dem Mercedes ausrollen und stieg aus. Er winkte einem der Uniformierten zu, die an dem Hauptportal des Friedhofs Wache standen.
Zögernd löste sich der Mann von seinem Posten und kam heran.
Der Polizeichef deutete auf den Mercedes. »Der Wagen muß hier weg«, sagte er. »Ich übernehme ihn. Fahren Sie bitte meinen Wagen zum Revier zurück.«
Das kam dem Beamten doch ein wenig seltsam vor. »Aber die Demoiselle, die da ’reingegangen ist …«
»Sie weiß Bescheid. Niemand soll wissen, daß sie hier ist, deshalb muß der Wagen fort. Und sagen Sie Ihren Kollegen, sie sollen sich möglichst unauffällig zurückziehen. Wir rechnen damit, daß die Friedhofschänder in dieser Nacht noch einmal zuschlagen und ihr Werk vollenden. Sehen Sie also zu, daß man Sie alle nicht sieht, und um so besser können Sie dann zuschlagen, wenn die Kriminellen sich unbeobachtet und sicher fühlen.«
»Das leuchtet mir zwar nicht so recht ein, weil wir erst jetzt davon erfahren und nicht schon früher«, murmelte der Polizist, »aber Sie sind der Chef.«
»Richtig«, sagte Heury.
»Und wie komme ich anschließend wieder hierher, wenn ich Ihren Wagen abgeliefert habe?«
»Sie sind doch ein kluges Kerlchen«, versetzte Heury. »Ihnen fällt da schon etwas ein.«
Der Beamte
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