0280 - Turm der weißen Vampire
Leiche war noch angezogen. Vergammelte, uralte Kleidung trug sie. Eine Hose, ein Hemd, sogar eine Weste, dazu eine Jacke.
Von der Grundfarbe war so gut wie nichts mehr zu erkennen, nur noch Fetzen hingen über dem halbverwesten Körper.
»Schau dir mal den Mund an!« hauchte Suko.
Obwohl es mich Überwindung kostete, ging ich einen Schritt vor und brachte auch die Kerze näher an das Gesicht heran. Der Mund stand offen. Aus dem Oberkiefer ragten zwei längere Zähne, die unten spitz zuliefen.
Es gab keinen Zweifel. Dieser Tote hier war ein Vampir!
Konnte man ihn wirklich als tot bezeichnen? Ich schaute wieder auf seinen Hals und damit auf die silberne Feder. Welch eine Bedeutung hatte sie?
Ich drehte mich um, während Suko nach wie vor den Toten im Auge behielt. Ruth Thompson hatte sich an den Pater geklammert und ihr Gesicht in seiner Kutte vergraben. Es war verständlich, daß sie nicht auf den Toten schauen konnte. Der Anblick war wirklich nichts für schwache Nerven. Aber wir mußten uns damit befassen.
»Keine Ahnung, was die Feder bedeuten könnte?« fragte ich meinen Freund Pater Ignatius.
»Nein, tut mir leid.«
»Ob es irgend etwas mit einem Vogel zu tun hat?«
»Möglich. Jedenfalls muß die Feder geweiht worden sein, sonst hätte sie den Vampir nicht bannen können.«
Das stimmte auch wieder. Einen Namen hatte er nicht auf die Brust geheftet, wir konnten uns aber vorstellen, wen wir da vor uns hatten. Es mußte der alte Fairbanks sein, der Vater dieser sieben schrecklichen Söhne.
»Was geschieht, wenn wir die Feder aus seinem Hals ziehen?« murmelte Suko.
Von keinem bekam er eine Antwort. Deshalb gab er sie sich selbst. »Vielleicht erwacht er dann?«
»Der Tote?« kreischte Ruth.
»Kann sein.«
Ich ging wieder vor und hatte schon meinen Arm ausgestreckt, während Suko sicherheitshalber seine Beretta zog und die Mündung auf den Kopf des Wesens richtete.
Meine Fingerkuppen strichen über die Feder. Sie fühlte sich nicht weich, sondern eher hart oder auch ein wenig sperrig an. Dann faßte ich fester zu und riß sie mit einem plötzlichen Ruck aus der teigig wirkenden und gleichzeitig schlaffen Haut.
Zunächst geschah nichts.
Dann bäumte sich die Leiche in ihren Fesseln auf, und im nächsten Augenblick drang ein grauenhafter Schrei aus ihrem Mund…
***
Stockdunkel war das Verlies. Man sah nicht einmal die berühmte Hand vor Augen. Das war auch nicht nötig, denn die sieben Vampire brauchten die Dunkelheit.
Sie lagen in ihren Särgen und schliefen der Dunkelheit entgegen.
Zum ersten mal nicht mehr im Mauerwerk gebannt, sondern wieder so, wie sie es früher getan hatten.
Obwohl sich sieben Gestalten in dem Verlies aufhielten, war kein Laut zu hören, denn Vampire brauchen nicht zu atmen. Sie waren Untote, Wiedergänger, angetrieben von der Kraft der Schwarzen Magie, ohne Seele, nur von der Sucht nach Menschenblut beseelt.
In dieser absoluten Stille erholten sie sich, um für die Nacht fit zu sein, wenn sie auf ihren Beutezug gingen.
Doch dann passierte etwas, das sie aus ihrem Schlaf riß.
Es war ein Schrei, den der erste Vampir ausstieß und der dumpf durch das Gewölbe klang. Im nächsten Augenblick hielt auch die anderen nichts mehr. Polternde Geräusche waren zu hören. Särge kippten um, fauchende Laute drangen durch das Verlies.
Die unheimlichen Gestalten wankten in der Finsternis, liefen gegeneinander und wollten alle gleichzeitig zum Ausgang, um diesen Keller zu verlassen.
Etwas hatte sie geweckt. Schreckliches war geschehen, das mit ihrem Vater zusammenhing.
Sie selbst hielt nichts mehr in ihren Särgen und auch nichts im Verlies. Obwohl die Dunkelheit noch nicht über das Land hereingebrochen war, mußten sie jetzt etwas unternehmen, denn sie spürten, daß Feinde auf der Insel lauerten.
Sie galt es zu vernichten!
Mit diesem Vorsatz krochen die sieben weißen Vampire aus ihrem Versteck an die Oberfläche.
Man hatte sie herausgefordert. Sie nahmen den Kampf an, denn die Insel gehörte nur ihnen allein…
***
Ein Toter, der schrie!
Oder war er überhaupt nicht tot? Wir wußten es nicht und sahen nur, wie sich die Leiche in den Fesseln hochbäumte. Für einen kurzen Moment schien sie in der Halterung erstarren zu wollen, dann kippte sie wieder zurück und blieb liegen.
Gleichzeitig sackte der Körper zusammen. Was ihm bisher noch Halt gegeben hatte, war verschwunden. Nicht die Fesseln, sondern die magische Bannkraft der Feder.
Die halbverweste Leiche kippte zur
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