0283 - Im Banne der grauen Schatten
Ihnen die Tür aufmachen muss?«
»Man soll doch einer alten Frau keine Strapazen zumuten«, sagte Morton und spurtete zur Tür, als er sah, dass sich die Blonde nach geeigneten Wurfgegenständen umsah. Es gelang ihm, die Tür hinter sich zuzumachen, bevor sie etwas gefunden hatte.
»Kommen Sie immer rückwärts zu einer Tür rein?«, keifte die Stimme eines alten Mannes.
Morton drehte sich um. Marchees saß ungefähr fünfzehn Schritte von der Tür entfernt, wie üblich weit in seinem hohen Lehnstuhl zurückgelehnt, hinter seinem Schreibtisch, der so breit war, dass zwei Mann nebeneinander bequem hätten daran arbeiten können. Das Zimmer war in Wahrheit ein kleiner Saal. Bis an die Decke hinauf war es mit einem dunklen, rotbraun schimmernden Holz getäfelt. An den Wänden hingen kostbare altertümliche Waffen. Jedes Mal, wenn Morton in diesen Raum kam, fragte er sich unwillkürlich, ob man mit diesen edelsteingeschmückten, elfenbeinausgelegten Feuerspritzen wohl irgendwann einmal richtig hatte schjeßen können, aber es war ihm bisher noch nicht gelungen, eine Antwort auf seine unausgesprochene Frage zu finden.
Mit dem Hut in der Hand stakte er in seinem schlaksigen Gang über den kostbaren Teppich auf den Riesenschreibtisch zu, vor dem zwei Sessel für Besucher standen.
»Hallo, Mister Marchees«, grinste er dabei. »Vielen Dank auch für den Scheck über die hundert Dollar. Ehrlich gesagt: Sie haben mich vor einem grausamen Hungertod bewahrt, Sir.«
Der alte Marchees war erst neunundfünfzig Jahre alt, sah aber aus wie siebzig oder noch drüber. Die Augen lagen so weit in den Höhlen, dass man von Weitem nur ein Paar schwarze, tiefe Gruben wie bei einem Totenschädel sah.
Wenn man ihn so sieht, dachte Morton, möchte man es nicht glauben, dass er eine so junge und ziemlich hübsche Tochter hat.
»Bitte, Mister Morton, nehmen Sie doch Platz«, sagte Marchees mit seiner hohen Fistelstimme.
»Danke sehr, Sir. Ich will Sie nicht lange auf halten. Aber weil Sie mir geschrieben hatten, dass ich Sie umgehend noch einmal aufsuchen sollte, bin ich gleich gekommen.«
»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Mister Morton. Da ist immer noch die Geschichte mit meiner Tochter. Ich habe mich inzwischen davon überzeugt, dass Ihr Bericht stimmt.«
»Ich liefere doch keine falschen Berichte«, brummte Morton ein bisschen ärgerlich.
»Werden Sie nicht gleich böse! Ein alter Mann wie ich muss misstrauisch sein. Aber ich habe alles bestätigt gefunden, was Sie mir erzählt haben. Meine Tochter rennt tatsächlich mit so einem verrückten junger Farbenkleckser aus Greenwich Village herum. Können Sie, beim Henker, mir sagen, was es für einen Zweck haben soll, etwas mit viel Mühe und mit großem Verbrauch von Farbe auf eine Leinwand zu pinseln, was eine gute Fotografie viel genauer und tausendmal billiger wiedergeben kann?«
»Oh, Sir«, grinste Morton, »ich weiß nicht, ob man es von der Seite her sehen sollte. Es gibt eine Menge Leute, die sich gern gute Bilder kaufen oder gar in Museen rennen, um sich die Bilder von Leuten anzusehen, die schon längst tot sind.«
»So was soll es tatsächlich geben«, nickte Marchees ungerührt. »Ich habe für so was nie Zeit gehabt. Ein Leben lang habe ich verdammt hart arbeiten und Dollars machen müssen.«
»Das ist Ihnen ja auch ganz gut gelungen«, schlüpfte es Morton heraus.
»Was ist mir gelungen? Nun werden Sie bloß nicht vorlaut, Sie junger Faulpelz!« Es klang, als ob sich Marchees wirklich aufregte. »Eine Kritik an meiner Person steht Ihnen in drei Teufels Namen nicht zu, haben Sie verstanden?«
»Entschuldigen Sie, Mister Marchees, so war es wirklich nicht gemeint. Ich wollte lediglich meine Bewunderung für Sie ausdrücken. Sie haben selbst gesagt, dass Sie das Kind von ganz armen Einwanderern gewesen sind. Und heute sind Sie doch ein reicher Mann. Sie müssen verdammt was geleistet haben.«
»Habe ich auch«, bellte der Alte. Er schien ein wenig besänftigt. »Und dann will meine Tochter unser Vermögen so einem Nichtsnutz in den Rachen werfen, der es in kürzester Frist verplempert haben wird! Nie und nimmer werde ich das dulden! Sie, Morton, Sie werden die beiden auseinanderbringen! Wie Sie das machen, ist mir völlig gleichgültig! Ich zahle Ihnen - eh - sagen wir: dreitausend Dollar, wenn Sie meiner Tochter diesen Firlefanz aus dem Kopf bringen! Verstanden?«
Roger Morton stieß einen leichten Pfiff aus.
»Uijeh«, grunzte er. »Dreitausend blanke
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