0284 - Der Henker und sein Millionär
Der Hoteleingang war schmal wie ein Handtuch. Über der Tür hing eine trübe Funzel.-Hockley trat an einen Schalter.
»Ist Marley da?«
Der Pförtner nickte. »Sitzt im Schankraum.«
»Komm mit,Vernon!«
Candy ging vor mir her. Am Ende des Flurs hing ein Vorhang. Er wischte ihn beiseite. In dem Raum dahinter gab es eine Theke. An einem Tisch davor saß ein älterer Mann. Er war klein und dick. Auf der spiegelblanken Glatze glänzte der Widerschein der beiden Lampen an der Decke.
»Hallo, Aldo!«
»Candy?«
Der Dicke legte die Zeitung weg. »Wen hast du denn da bei dir?«
»Einen guten Freund von Rex Grinding. Er stammt aus Syracuse und kommt gerade.aus Auburn, wo er einen Dreijahresurlaub auf Staatskosten verbracht hat.«
Der Dicke ging hinter die Theke. »Einen Drink?«
»Drei, Aldo. Aber was Anständiges. Geht auf meine Rechnung.«
Marley kam dem Wunsch nach. Wir stießen an und ich muss ehrlich zugeben, dass der Whisky ganz vorzüglich war.
»Hör zu, Aldo! Vernon Odoni soll vorerst bei dir unterkriechen. Du kannst unbesorgt sein, denn er hat im Augenblick eine weiße Weste.«
Er lachte glucksend. Marleys Gesichtsausdruck wurde freundlicher.
»Wie lange willst du denn hier wohnen?«, fragte er.
»Das weiß ich noch nicht, Aldo«, antwortete ich. »Hängt davon ab, ob ich hier irgendwo ins Geschäft kommen kann. Vielleicht fahre ich nach einer Woche schon wieder nach Syracuse.«
»Hugo will erst einmal die Lage sondieren«, erklärte Candy.
Marley gab noch einen aus. Als auch ich eine Runde spendieren wollte, winkte Candy großzügig ab.
»Nicht so großzügig, Vemon. Halte deine paar Kröten gut zusammen! So, ich haue jetzt ab. Du hörst noch von uns.«
Er drückte Marley die Hand. Ich stieß ihn an.
»Sag mal, Candy, ist hier in der Nähe ein Kino? Ich würde mir gern einen spannenden Film ansehen.«
»Mach, was du willst, Vernon! Aldo kann dir ja etwas empfehlen.«
Mit diesen Worten verschwand er. Aldo schüttete mir noch einen ein.
»Wie teuer ist ein Zimmer bei dir?«, fragte ich.
»Für dich pro Nacht ein Dollar fünfzig. Willst' du wirklich noch ins Kino?«
Ich nickte. »Hab sowas lange entbehren müssen, Aldo.«
»In der Madison-Street ist ein Kino.«
»Wie komme ich denn dahin?«
Er erklärte es mir genau. »Wenn die Tür vorn zu sein sollte, brauchst du bloß zu klingeln. Jack macht dir dann auf. Ich sage ihm wegen des Zimmers Bescheid.«
»All right, Aldo.«
Ich ging auf den Vorhang zu. Dort drehte ich mich noch einmal um.
»Was ist Hugo eigentlich für ein Mensch, Aldo?«
»Wolitzer? Warum fragst du?«
»Nach dem Tod von Rex ist er der Boss, Aldo. Ich möchte wissen, ob man mit ihm auskommen kann.«
»Man kann sogar sehr gut mit ihm auskommen,Vernon. Man darf nur nicht zu neugierig sein.«
»Hm. Wo war er eigentlich, als Rex zusammengeschossen wurde?«
»Hier bei mir. Wir haben an dem Abend gepokert.«
»Schätze, ich muss mir noch reiflich überlegen, ob ich bei ihm mitmache.«
»Warum?«
»Weil er unzuverlässig ist, Aldo. Wenn ich eine Gang hätte, könnte er niemals mein Vormann werden. Er taugt nicht dazu. Ist kein Renommee für ihn, wenn er pokert, während man seinen Boss zusammenschießt. Hätte man mich ein halbes Jahr früher entlassen, wäre Rex noch am Leben.«
Ich verließ den Raum. Als ich auf die Straße trat, warf ich einen Blick auf die Uhr. Wenn ich mich beeilte, konnte ich vor Beginn des Hauptfilms noch mit Phil telefonieren. Während ich durch die James Street schlenderte, grinste ich vergnügt vor mich hin. Ich war sicher, dass Marley seinen Freund Hugo sofort von unserem Gespräch unterrichten würde. Bestimmt war die Pokerpartie nur ein fingiertes Alibi für Wolitzer. Er würde also erfahren, dass ich seine Rolle durchschaut hatte. Das bedeutete, dass ich mich von nun an höllisch in acht nehmen musste. Andererseits musste er mich nun wirklich für einen Gangster halten, den das Geheimnis um den Tod seines besten Freundes nicht zur Ruhe kommen ließ.
An der Ecke Oak Street stand eine Telefonzelle. Ich rief im Districtgebäude an. Phil war noch da.
»Gott sei Dank, Jerry. Du glaubst gar nicht, wie ich auf ein Lebenszeichen von dir gewartet habe. Ist alles gut gegangen?«
Ich gab ihm einen genauen Lagebericht. »Feste Anrufzeiten können wir natürlich nicht ausmachen, Phil. Ich muss mich da nach den Gegebenheiten richten. Ich werde versuchen, mich mit Boston-Joe anzufreunden. Er scheint mir Hugos Vormachtstellung nicht so recht
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