0284 - Der Henker und sein Millionär
eine Tätowierung entdeckt.«
»Ist das so außergewöhnlich, Noel?«
»Nein, Jerry«, gab Russel zu, »aber dann handelt es sich um Mädchenköpfe, Sprüche oder ähnliche Scherze. Der Tote auf dem Pontiac hatte einen völlig neuen Einfall. Auf seinem Rücken steht John Castor, Harlem, East 131. Straße. Nummer 56.«
Ich sah Russel ungläubig an. »Sie meinen, es handelt sich um seine eigene Adresse, oder die eines Freundes?«
Er zuckte die Achseln. »Ich weiß, Jerry, es hört sich vielleicht komisch an, aber Doc Cahn sagt, die Tätowierung sei höchstens zwei Tage alt. Können Sie mir erklären, was einen Mann plötzlich dazu bewegt, einen Namen und eine Adresse auf seinen Rücken tätowieren zu lassen?«
Natürlich konnte ich das nicht. Doch Russell hatte sich schon eine ganze Zeit mit dieser merkwürdigen Tatsache befasst. Eine seiner Theorien deckte sich auffallend mit einer Ansicht, die Lieutenant Hepburn beim Tod des Friedhofswärters Bowling vertreten hatte.
»Sehen Sie, Jerry«, sagte er. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Mann auf dem Pontiac seinen Tod geahnt hatte. Vielleicht hat er sogar ganz klare Vorstellungen gehabt, auf welche Weise man ihn umbringen würde.«
»Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen, Noel«, unterbrach ich ihn. »Aber diese Theorie scheint mir zu gewagt. Sie wollen sagen, er hat die Tätowierung machen lassen, damit man ihn später identifizieren kann. Ich frage Sie, Noel, warum wendet der Mann sich bei einem derartigen Verdacht nicht an die Polizei?«
Er machte eine hilflose Handbewegung. »Da bin ich überfragt, Jerry. Ich würde vorschlagen, wir sehen erst einmal nach, was es mit der Adresse für eine Bewandtnis hat.«
Das war ein vernünftiger Vorschlag. Noel ging noch einmal zu seinem Dienstwagen zurück.
»Kommen Sie mit, Sam! Wenn es sich um die Wohnung des Toten handeln sollte, können Sie die übrigen Männer holen.«
»Aye, Sir!«
Sergeant Daniels stemmte seine Körperfülle durch die Tür. Prustend kam er auf mich zu und tippte grüßend an die Hutkrempe.
»Hallo, Agent Cotton!«
»Hallo, Sergeant!«
Wir gingen alle drei auf die Haustür zu. Nummer 56 war ein älterer Bau, mit einer schmutzig grauen Fassade. Die Tür war nur angelehnt. Wir stiegen die ausgetretene Treppe hoch. Im 2. Stock entdeckten wir an einer Tür ein Pappschild mit den Namen Castor.
Lieutenant Russell drückte auf den Klingelknopf. Es war ein grelles Läuten.
Bei der Stille, die in dieser frühen Morgenstunde noch herrschte, musste es im ganzen Haus zu hören sein. Castor hörte es nicht. Entweder war er schwerhörig, oder nicht in seiner Wohnung, oder…
Eine Tür nebenan wurde aufgerissen.
»Was machen Sie denn für einen Krach?«, keifte eine ältere Frau. »Ich habe Ihnen doch vorhin schon einmal gesagt, dass John nicht da ist.«
Sie brach ab und musterte uns misstrauisch. »Ach, schon wieder andere Leute?«
Ich schob mich nach vorn. »Sagen Sie, Madam, haben Sie eine Ahnung, wo Mr. Castor sein könnte? Es ist sehr wichtig.«
»Im Allgemeinen hat er Nachtdienst. Aber er scheint diese Nacht nicht zu arbeiten. Um 1 Uhr war schon jemand vom New York Age hier. Der Mann war ziemlich sauer, weil John sich nicht einmal entschuldigt hat.«
»New York Age? Ist das nicht eine Zeitung hier in Harlem?«, fragte ich. Sie nickte. »230 West 135. Straße, Sir! Nur ein paar Blocks weiter. Versuchen Sie es doch da einmal. Vielleicht ist er inzwischen doch noch hingegangen. Sind Sie von der Polizei?«
Ich lächelte. »Wie kommen Sie denn darauf?«
Sie zuckte die Achseln und zog die Kordel ihres schmutzigen Morgenmantels zusammen.
»Nun, weil John in der letzten Zeit so geheimnisvoll tat. Ich brühte ihm manchmal eine Tasse Tee auf. John ist im Grunde genommen ein armer Teufel, wissen Sie? Seit ihm damals seine Frau mit einem anderen durchgebrannt ist. Ein paarmal hat er sogar versucht, sich das Leben zu nehmen. Aber dann bekam er eines Tages den Besuch von diesem Mr. Pinner, oder wie der Mann hieß. Der hat ihn wieder auf Vordermann gebracht. John ist auch in seinen Verein eingetreten. Doch seit acht Tagen war seine Ruhe wie weggewischt. Er schreckte bei jedem Geräusch zusammen. Neulich brüllte er mich sogar an, als er mein Klopfen überhört hatte. Ich sage Ihnen, mit John stimmt etwas nicht. Vorgestern Abend sagte er zu mir, er würde mir in den nächsten Tagen einen Brief geben. Falls ihm etwas passieren sollte, möchte ich den Umschlag bei der Polizei abgeben.«
Ich zeigte
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