029 - Der Unheimliche
auf dem Stuhl hin und her.
»Vermutlich«, brummte er, »aber das geht Sie nichts an.« »Das geht mich sogar sehr viel an. Mein lieber Freund, ich habe Ihnen schon erklärt, daß ich Elsa brauche. Sie ist gescheit, und mit etwas Anleitung wird sie Ihren Platz in der Organisation einnehmen können. Schlagen Sie sich also den Gedanken an Elsa aus dem Kopf! Sie werden nicht mehr an sie denken, wenn Sie erst in Südamerika sind. Da gibt es viele hübsche junge Damen, die mit Vergnügen einen Mann wie Sie heiraten werden. Tarn, ich glaube, Sie können froh sein, lebend aus dieser Sache herauszukommen.«
Tarn wurde grau im Gesicht. »Was meinen Sie damit?« fragte er erschrocken.
»Ich meine, daß Soyoka nicht lockerlassen wird.«
Den ganzen Nachmittag saß Maurice Tarn in Gedanken versunken im Büro vor seinem Schreibtisch. Die Hände hatte er tief in den Taschen vergraben, der Rücken war gekrümmt, die Augen halb geschlossen, und immer klang ihm Hallams Warnung in den Ohren.
Während der schwärzesten Stunde seines düsteren Grübelns sollte er etwas entdecken, das sich verhängnisvoll für ihn erweisen sollte - wenngleich er das noch nicht ahnte.
»Ein Telegramm, Sir«, sagte ein Angestellter. »Ich glaube, es ist im Privat-Code abgefaßt.«
Mechanisch nahm er das Blatt entgegen und warf einen flüchtigen Blick auf die Unterschrift.
Mit einem Ruck richtete er sich auf.
Der Absender war ein japanischer Kaufmann, mit dem er einige Geschäfte für die Rauschgiftorganisation getätigt hatte.
Soyoka hatte davon erfahren, und diese Bezugsquelle war mit einemmal versiegt. Aber ein Name, der mitten im Text stand, versetzte ihn in Erstaunen, und er beeilte sich, das Telegramm nach seinem Privat-Code zu entschlüsseln. Dieses Telegramm war nur durch ein Versehen an ihn adressiert worden, in Wirklichkeit war es für Soyokas Hauptagenten bestimmt. Da stand der Name! Soyoka! Jetzt hatte er seinen Konkurrenten in der Hand, und ihn überkam eine Erleichterung, wie schon seit Jahren nicht!
Auf ihrem Heimweg ging Elsa durch Cheapside und bemerkte plötzlich Ralf, der auf sie zukam.
»Was tust du denn hier in der City?« rief sie erstaunt.
»Ich muß hier jemanden besuchen«, erklärte Hallam und ging an ihrer Seite weiter. »Fährst du mit dem Bus, oder nimmst du dir ein Taxi?«
»Ich werde an meine Gesundheit denken und zu Fuß gehen«, antwortete sie und lachte.
Sie wanderten durch die Newgate Street und bogen nach Old Bailey ein. Hier blieben sie stehen, um das pompöse Gebäude des Obersten Gerichtshofes zu betrachten. Ralf zeigte ihr den Platz, wo früher das Newgate-Gefängnis gestanden und wo sich die kleine, eisenbeschlagene Tür befand, die zum Gefängnis geführt hatte.
»Das ist schauderhaft!« Elsa wandte sich ab.
»Ich möchte wetten, daß es Maurice genauso schaudern würde«, sagte er gedankenlos. Elsa blieb stehen und blickte ihn an.
»Was ist mit Tarn?« fragte sie. »Er muß etwas Schreckliches begangen haben. Weißt du, was es ist?«
Ralf winkte lachend ab und brachte die Unterhaltung auf ein anderes Thema. Er freute sich, als sie Elgin Crescent erreichten, denn er ging nicht gern zu Fuß.
»Du willst doch heute abend zu Lou gehen. Hast du es dem alten Herrn schon gesagt?«
Elsa hatte ein unangenehmes Gefühl bei diesen Worten.
»Ich bin nicht sicher, ob Tarn mich verstanden hat«, meinte sie.
»Ist es überhaupt nötig, daß du mit ihm darüber sprichst« erkundigte er sich. »Maurice ist aus irgendeinem Grund mit mir böse, und wenn er erfährt, daß du zu Lou willst, macht er vielleicht Einwendungen.«
»Aber was soll ich ihm denn sagen?« wollte sie wissen. »Ich kann ihn doch nicht belügen«
»Sag ihm, daß du eine Woche bei einer Freundin verbringen willst! Soweit ich ihn kenne, wird er gar nicht fragen, wer es ist.«
Ganz recht schien ihr das nicht zu sein, aber sie erklärte sich dazu bereit.
»Fein, ich werde dich moralisch unterstützen«, fuhr er fröhlich fort und ging mit ihr ins Haus. Aber Maurice Tarn war noch nicht zurückgekehrt.
Elsa ließ Hallam im Eßzimmer warten und ging hinauf, um einen Handkoffer zu packen. Wieder quälte sie der alte Zweifel und ihre Abneigung gegen Mrs. Trene Hallam. Hinzu kam noch eine neue Überlegung: Würde Paul Amery es gutheißen? Dann verscheuchte sie diesen Gedanken und lachte über sich selbst - das war doch einfach töricht!
Bis acht Uhr war Tarn noch nicht zurückgekehrt, und Ralf versuchte Elsa zu überreden, mit ihm zu Lou zu
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