0298 - Im Haus der schlimmen Träume
nicht mehr, wenn die hieroglyphenbedeckte Silberscheibe von sich aus Aktivität und damit Eigeninitiative entfaltete. Früher hatte er dies als fast selbstverständlich hingenommen. Es gehörte einfach dazu, paßte zu dem Bild, das er sich von dem magischen Instrument aus Merlins Sternenschmiede gemacht hatte.
Doch dann hatte ihn dieses Amulett in einigen prekären Situationen unschön im Stich gelassen - Situationen, die er beinahe mit dem Leben bezahlt hätte…
Ich darf mich nicht mehr auf diese vermeintliche Wunderwaffe verlassen, hatte er sich danach in schlaflosen Nächten eingehämmert. Ich muß mir Alternativen im Kampf gegen die Schwarze Familie und die anderen Dunkelmächte schaffen…
Was ihm fast gelungen wäre.
Mit dem Ju-Ju-Stab, dem Schwert Gwaiyur, dem Dhyarra-Kristall… Aber eben nur fast. All diese Dinge besaßen ihre Haken und Ösen wie das Amulett auch und waren nur mit höchster Vorsicht zu genießen.
Wirklich verlassen konnte sich Zamorra in jüngster Zeit nur auf seine von Merlin erlernten magischen Formeln. Deshalb war er bemüht, sich auf diesem Gebiet anhand alter Bücher und Schriftrollen ständig weiterzuentwickeln. Das war ein beschwerliches Unterfangen, aber er ahnte, daß einmal die Zeit ânbrechen würde, da er nichts anderes mehr in Händen hielt als das Wissen in seinem Kopf, die Macht seines Geistes…
»Zukunftsgeflüster«, knurrte er, ohne daß es jemand hörte.
Er drängte die schwermütigen Gedanken beiseite.
Neben ihm redete Gilbert Atkins pausenlos wie ein Lohnschreiber, der nach Worten bezahlt wurde. Nicole tat ihm die Freundlichkeit und täuschte Interesse vor über das, was der Lokalredakteur über die Chronik von Tuthbantry zu berichten wußte.
Zamorra bewunderte ihre Engelsgeduld, zumal Atkins sie nicht gerade höflich empfangen hatte.
Endlich hatten sie das Dorf hinter sich gelassen und marschierten über freies Feld.
»Wie weit ist es noch?« unterbrach Zamorra irgendwann.
»Wir sind gleich da.«
»Hoffentlich…«
Zamorra machte keinen Hehl daraus, daß er allmählich an der Geschichte zu zweifeln begann, die man ihm aufgetischt hatte.
Aber da war das Amulett, das, versteckt unter dem Hemd, vor seiner Brust pulsierte und seltsame Ströme durch seinen Körper jagte. Etwas, das es früher nur getan hatte, wenn eine dämonische Kraft in der Nähe gewesen war.
Also stimmte die Story vom Spukhaus doch?
Zumindest war Vorsicht geboten…
»Da! Da vorne ist…« Gilbert Atkins stutzte, blieb stehen, hob die Handfläche über die Augen und spähte angestrengt geradeaus, wo die Ackerfläche leicht abfiel. Die Erde war frisch umgepflügt. Scharen von Vögeln hockten zwischen den Furchen und feuchten Krumen und pickten nach Insekten, die ans Tageslicht geworfen worden waren.
Und dann sah auch Zamorra das Objekt, das es geschafft hatte, Atkins zumindest vorübergehend zum Schweigen zu bringen.
»Was ist das?« fragte Nicole, die ebenfalls in die Ferne schaute.
»Ein Traktor«, bewies Zamorra die schärfere Sehkraft. »Oder was davon übriggeblieben ist…«
Sie liefen los.
Als sie die Stelle erreichten, hatten sich tiefe Schatten über das Land gesenkt. Der Abend dämmerte, die Sonne war bereits hinter den Hügeln verschwunden. Und vor ihnen schälten sich die Konturen eines Hauses aus dem Unsichtbaren heraus…
***
»Wahnsinn«, hauchte Nicole beeindruckt.
Wie angenagelt waren sie stehengeblieben und starrten auf das unheimliche Schauspiel, das sich ihren Augen bot.
Eben noch hatten sie nur einen total eingedrückten Traktor mit Pflugschar gesehen, über dessen zerborstenem Kühler sich dünne Wasserdampfwölkchen kräuselten…
...und nun entdeckten sie die Ursache der zuvor nicht erklärlichen Karambolage!
»Der Fahrer«, fing sich Nicole schnell wieder. »Wo ist der Fahrer? Der Mann oder die Frau, der den Traktor gesteuert hat…?«
Vorsichtig näherten sie sich dem qualmenden Wrack.
»Dorsay«, keuchte Atkins unvermittelt. »Der Acker gehört dem jungen Dorsay und seinem Vater. Der Traktor auch…«
»Nichts«, sagte Zamorra, der bis zur Hauswand lief und dann auch noch die unmittelbare Umgebung abschritt. »Entweder ist er ohne große Verletzung davongelaufen, oder…«
Das Oder brauchte er nicht groß zu erläutern. Die entsetzten Gesichter von Nicole und Gilbert Atkins zeigten, daß sie sich denken konnten, worauf er hinauswollte.
»Kehren wir um?« fragte der Lokalredakteur zaghaft an.
»Warum?« erwiderte Zamorra, während er langsam
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