03 Arthur und die Stadt ohne Namen
»Traut ihr uns etwa nicht?«
Das traf den Nagel auf den Kopf, zumindest, was mich anging. Aber ich wollte die beiden nicht noch einmal beleidigen.
»Wir werden erwartet, und man macht sich bestimmt Sorgen, wenn wir nicht rechtzeitig da sind. Außerdem sind wir heute erst angekommen und müde.«
»Schade«, bedauerte auch Burke. »Wir könnten euch auch in die unterirdische Stadt führen. Da, wo die offiziellen Führungen nicht hinkommen ...«
Larissa zögerte. »Was meinst du, Arthur? Sollten wir uns nicht doch ein Stündchen Zeit nehmen? Wer weiß – vielleicht finden wir ja bereits am ersten Tag eine Spur«, fügte sie flüsternd hinzu.
Ich schüttelte energisch den Kopf. Es war inzwischen völlig dunkel geworden, und ich hatte nicht vor, den beiden Jungen in irgendwelche Seitenstraßen zu folgen. Mich wunderte, dass Larissa mein Unbehagen nicht teilte.
»Heute nicht.« Ich wandte mich zu Burke und Hare. »Wir werden noch einige Tage in der Stadt sein. Vielleicht ein anderes Mal.«
»A dinna ken.« Hare zuckte mit den Schultern. »Your loss, gov’nor.«
Ich sah ihn verständnislos an.
»Er sagt, dass er nicht weiß, ob es noch ein weiteres Mal gibt«, erklärte Burke. »Und dass ihr etwas verpasst, wenn ihr jetzt nicht mitkommt.« In seinen Augen glaubte ich eine gewisse Gier blitzen zu sehen. Vielleicht war es aber auch nur das schlechte Licht auf der Straße.
»Mag sein.« Ich nahm meinen Koffer und zog Larissa am Arm. »Aber es geht nun mal nicht. Ciao.«
»Cheerio!« , riefen beide uns nach. Ich machte große Schritte, um so schnell wie möglich von ihnen wegzukommen.
»Was hast du denn auf einmal?« Larissa hatte Mühe mitzuhalten. »Das waren doch bloß zwei junge Typen.«
»Sag nicht, du hast ihnen ihre Nummer abgekauft?«, fragte ich. »Die hatten doch irgendwelche Hintergedanken. Ganz zufällig bieten sie uns an, uns in den Untergrund zu führen. Da stimmt doch was nicht! Und hast du gesehen, wie sie angezogen waren?«
»Ein bisschen ärmlich. Na und? Sie sind eben nicht reich. Aber sie haben ihren Stolz, das hast du doch sicher gemerkt?«
Das hatte ich in der Tat. Den peinlichen Moment würde ich nicht so schnell vergessen. »Tut mir leid«, sagte ich. »Vielleicht irre ich mich ja wirklich und sie waren völlig harmlos. Bei unserer nächsten Begegnung werde ich mich anders verhalten.«
»Wenn es eine nächste Begegnung gibt«, unkte Larissa.
Wir waren inzwischen ein gutes Stück vorangekommen. Immer wieder mussten wir an den zahlreichen Bushaltestellen den Schlangen von Wartenden ausweichen, die sich dort gebildet hatten. Mir wurden die Beine langsam schwer. Wir hatten einen langen Tag hinter uns, und ich begann, die Müdigkeit zu spüren. Aus einem libanesischen Falafel-Imbiss wehte der Duft nach Essen auf die Straße, und ich merkte, dass ich außerdem ziemlich hungrig war. Larissa sagte zwar nichts, aber ihr ging es gewiss nicht anders.
Schier endlos zogen sich die kleinen Läden zu beiden Seiten der Straße hin. Kunsthandlungen, Weingeschäfte, Secondhand-CD-Läden, Callshops, dazwischen eine Apotheke, chinesische und indische Restaurants, ein polnischer Friseursalon, Optiker, Zeitungskioske, und alle mit unterschiedlich bunten Ladenfronten. Blau, Rot, Grün, Violett, Gelb, Orange – es gab kaum einen Farbton, der nicht vorkam.
Schließlich erreichten wir die Ecke, an der wir die Hauptstraße verlassen mussten. Sofort befanden wir uns in einer völlig anderen Welt. Hier gab es keinerlei Geschäfte mehr und auch keine Passanten. Wir kamen an einer kleinen Kirche vorbei, und wenige Meter weiter mündete die Oxford Street, unser Ziel, in die Straße. Alle Häuser hier sahen gleichförmig aus: drei Stockwerke hoch, schlicht und ohne jede Verzierung, und alle mit einem schmalen Streifen Vorgarten. Wie zwei hohe Mauern schlossen sie die Straße ein.
Wir hatten kaum die Klingel am Haus der Campbells gedrückt, als sich die Tür auch schon öffnete. Vor uns stand eine schlanke Frau mit gewelltem blonden Haar. Sie hatte ein freundliches Gesicht, das allerdings von Sorgenfalten durchzogen war. Sie wischte sich die Hände an einer dunkelblauen Schürze ab, die sie über einem schwarzen Rollkragenpullover und Jeans trug.
»Ihr müsst Arthur und Larissa sein«, begrüßte sie uns mit einem Lächeln. »Ich dachte schon, ihr hättet euch verlaufen. Kommt rein, kommt rein.« Sie winkte uns in einen schmalen Flur und schloss die Tür hinter uns.
»Ich bin Caitlin. Willkommen in Edinburgh.«
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