03 - Auf Ehre und Gewissen
hindämmerte.
Draußen im Flur konnte Lynley St. James und Inspector Canerone sprechen hören. Jemand hustete. Jemand fluchte. Ein Telefon läutete. Schon beim zweiten Ton wurde es abgenommen.
Lynley sah mitleidig auf die fast schlafende Cecilia. Er fand es grausam, daß er sie jetzt verhören mußte, aber er hatte keine Wahl, wenn sie den Mörder endlich fassen und weiteres Unglück verhindern wollten.
»Wußten Sie, daß Chas heute abend herkommen würde?« fragte er.
»Worüber hat er mit Ihnen gesprochen, Cecilia? Erwähnte er Matthew Whateley? Wußten Sie daher seinen Namen?«
Cecilias Lider waren schwer. Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. Ihre Stimme war teilnahmslos, als sie sprach. »Chas sagte - er sagte, Matthew - Matthew hätte den Kleinbus gesehen. Er stand hinten auf dem Fußweg zum - zum Erebos und da - da hat er ihn gesehen. Dienstag abend.«
»Matthew wußte also, daß Chas den Kleinbus genommen hatte?«
»Ja.«
»Sie haben Freitag abend mit Chas telefoniert. Mehrmals. Sagte er Ihnen, daß er Matthew in die Dachkammer in Kalchas gebracht hatte?«
»Er sagte - nein, nichts von Matthew. Wir - es ging nur um das Baby. Ich - ich wollte wegen des Babys mit ihm sprechen. Ich mußte - wir - ich bat ihn, mit seinem Vater zu sprechen. Aber - er wollte nicht. Sein Vater - er wollte nicht.«
»Er hat nichts von Matthew gesagt? Nichts vom Chemiesaal? Vom Abzug?«
Sie schüttelte schwach den Kopf. »Nichts von Matthew.« Eine Falte zog sich zwischen ihren Augenbrauen zusammen. Sie sah Lynley an. »Aber er - er sagte - er sagte, noch jemand wüßte von dem Bus. Daß Matthew nicht - nicht das Ende sei. Daß es irgendwo enden müsse. Es müsse enden ...« Sie hob die Hand zum Mund. Tränen rannen ihr aus den Augen. »Ich hatte keine Ahnung - ich hätte wissen müssen, was er meinte. Aber ich - ich hatte keine Ahnung. Ich hätte nie gedacht, daß er - wir haben doch ein Baby. Und - Chas ...«
Norma Streader streichelte ihr die Wangen. »Sissy«, sagte sie. »Sissy, Liebes, es ist ja gut. Alles ist gut.«
»Matthew war nicht das Ende«, wiederholte Lynley.
»Es hat noch jemand an dem Abend Chas mit dem Kleinbus gesehen. Eine Frau. Jean Bonnamy. Hat er Ihnen von ihr erzählt? Hat er Ihnen gesagt, was ihr heute nachmittag zugestoßen ist?«
»Nein. Jean ... Er sagte nichts von Jean. Nur, daß Sie - sie wollten, daß er mit Ihnen redet - daß er Ihnen sagt ... Er sagte, sie hätten keine Ahnung. Sie dürften nichts erfahren. Er fühlte sich gebunden ...« Die Augen fielen ihr zu.
»An Sie gebunden? Um Sie zu schützen? So wie Sie ihn geschützt hatten?«
Sie strich über die weiße Wolldecke. »Schützen, Chas schützt«, murmelte sie. »Das tut er, ja. So ist er. Er schützte die anderen.« Ihre Hände entspannten sich. Ihr Gesicht erschlaffte.
Sie war eingeschlafen.
Behutsam strich Norma Streader ihr über die Stirn.
»Das arme kleine Ding«, sagte sie. »Was hat sie nicht alles durchgemacht. Die Schwangerschaft, der Streit mit den Eltern, der Schrecken über das Kind. Und jetzt das. Sie liebte ihn. Sie haben sich sehr geliebt. Das konnte man sehen.«
»Haben Sie von ihrem Gespräch heute abend etwas mitbekommen?«
Norma Streader schüttelte den Kopf. »Sie wollten allein sein, und ich erlaubte es. Man kann mir natürlich vorhalten, daß das, nach alledem, was vorher geschehen war, nicht richtig war, aber ich sah keinen Grund, es ihnen zu verweigern. Sie brauchten Trost, alle beide. Und sie waren sich gegenseitig am meisten Trost. Es gibt sowenig Liebe auf der Welt, und sowenig Freude. Ich wäre mir gemein vorgekommen, wenn ich ihnen das Zusammensein nicht erlaubt hätte.«
»Sie waren letzten Samstag abend, als Chas Cecilia besuchte, nicht hier?«
»Nein. Aber ich bin sicher, daß er hier war. Cecilia hatte mir erzählt, daß er ihr versprochen hatte, am Abend zu kommen, und Chas hat seine Versprechen immer gehalten. Wie heute auch.«
»Heute?«
Norma Streader strich Cecilia noch einmal über das Haar. »Er rief mittags an und sagte, er würde kommen. Und Punkt vier war er da. So war er.«
Lynley sprang auf. Das Licht der Nachttischlampe beleuchtete Norma Streaders Gesicht. Lynley merkte, daß die Frau keine Ahnung von der Tragweite ihrer eben geäußerten Worte hatte.
»Er war um vier hier?« wiederholte er.
»Ja. Er sagte, er sei per Anhalter gefahren. Das hat sicher gestimmt. Er war durchnäßt, als er hier ankam. Warum? Ist es wichtig?«
Lynley antwortete nicht, sondern ging
Weitere Kostenlose Bücher