03 - Auf Ehre und Gewissen
durch dieses Eingeständnis von Wissen geweckt war, freundlich.
»Zum Beispiel direkt über das hintere Feld«, antwortete das Mädchen. »Oder über Gray's Feld neben der Kirche.«
»Ist Ihnen irgend etwas aufgefallen, was darauf hinweisen würde, Mrs. St. James?« fragte der Sergeant.
»Mir?« Deborah schien verwirrt. »Nein. Aber ich habe auch nicht darauf geachtet. Ich habe überhaupt nicht überlegt. Ich war hergekommen, um den Friedhof zu fotografieren, und ich war in Gedanken versunken. Ich erinnere mich nur an den kleinen Jungen. Und seine Lage. Als hätte man ihn auf den Müll geworfen.«
»Ja. Auf den Müll geworfen.« Der Sergeant starrte auf seine Hände. Er sagte nichts mehr. Irgendein Magen knurrte laut. Der andere Polizeibeamte senkte verlegen den Kopf. Als hätte ihn das Geräusch daran erinnert, wo sie waren, was sie taten und wie lange sie schon an der Arbeit waren, stand der Sergeant auf. Auch die anderen erhoben sich.
»Morgen können Sie die Protokolle unterschreiben«, sagte der Sergeant zu den beiden Frauen. Dann nickte er allen zu und ging. Sein Kollege folgte ihm. Einen Augenblick später fiel die Haustür zu.
Simon wandte sich seiner Frau zu und erkannte ihr Widerstreben, Cecilia alleinzulassen.
»Danke«, sagte Deborah zu dem Mädchen und griff impulsiv nach ihrer Hand. Aber Cecilia zog die Hand wie in einem Reflex weg. Es tat ihr augenblicklich leid, das sah man ihr an. »Ich habe Ihnen anscheinend ziemliche Scherereien gemacht dadurch, daß ich zum Telefonieren hierher gekommen bin«, sagte Deborah.
»Wir sind ja das nächste Haus«, antwortete Cecilia.
»Die Polizei wäre sowieso zu uns gekommen. Und sie wird sicher auch zu den Nachbarn gehen. Sie können nichts dafür.«
»Na schön. Also dann, trotzdem vielen Dank. Vielleicht kommen Sie jetzt ein bißchen zur Ruhe.«
Simon sah, wie das Mädchen schluckte. Sie schlang beide Arme um ihren Körper. »Ruhe«, wiederholte sie, als wäre die Vorstellung ihr völlig neu.
Sie gingen die Einfahrt hinunter zur Straße. Simon merkte wohl, daß Deborah mehr als einen Meter von ihm entfernt ging. Ihr langes Haar schützte ihr Gesicht vor seinem Blick. Er suchte nach etwas zu sagen. Zum erstenmal in ihrer Ehe fühlte er sich von ihr abgeschnitten.
»Deborah. Liebes.« Bei seinen Worten blieb sie stehen. Er sah, wie sie die Hand zum Tor ausstreckte, um eine der Eisenstangen zu umfassen. »Du mußt aufhören, alles allein tragen zu wollen.«
»Es war der Junge. Wie ich ihn da gefunden habe. Man rechnet nicht damit, plötzlich einen toten kleinen Jungen unter einem Baum liegen zu sehen.«
»Ich spreche jetzt nicht davon. Das weißt du sehr gut.«
Sie wandte ihr Gesicht ab, hob die Hand, als wolle sie ihn abwehren, und ließ sie sinken. Die Bewegung drückte eine tiefe Schwäche aus, und Simon machte sich Vorwürfe, daß er sie so bald nach dem Verlust des Kindes allein hatte fortgehen lassen. Auch wenn sie noch so hartnäckig darauf bestanden hatte, ihren Vertrag zu erfüllen, er hätte durchsetzen müssen, daß sie sich mehr Zeit zur Genesung nahm. Er berührte ihre Schulter, strich mit der Hand über ihr Haar.
»Deborah, Liebes, du bist doch erst vierundzwanzig. Du hast noch soviel Zeit. Wir haben Jahre vor uns. Und der Arzt kann sicher -«
»Ich will nicht -« Sie ließ die schmiedeeiserne Torstange los und lief rasch über die Straße. Bei seinem Wagen holte er sie ein. »Bitte, Simon. Bitte. Ich kann nicht. Bitte laß mich.«
»Aber ich sehe doch, wie es dir zugesetzt hat, Deborah. Wie es dir immer noch zusetzt.« »Bitte!«
Er hörte, daß sie zu weinen anfing, und ihre Tränen ließen ihn seine eigenen Bedürfnisse vergessen. »Dann laß mich dich nach Hause fahren. Wir können dein Auto morgen holen.«
»Nein.« Sie richtete sich höher auf und lächelte mit zitternden Lippen. »Es geht mir doch gut. Wir müssen nur die Polizei dazu bewegen, daß sie mich an meinen Wagen läßt.«
»Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken ...«
»Mir geht's gut, Simon. Wirklich.«
Er merkte genau, wie sehr es sie drängte, ihm fern zu sein. Nach einem Monat der Trennung von ihr traf ihn ihr fortwährendes Bedürfnis nach Alleinsein wie ein niederschmetternder Schlag. »Wenn du meinst.«
Der Constable, der sich während ihres Gesprächs diskret der Kirche zugewandt hatte, drehte sich jetzt um und wies mit einem auffordernden Nicken zum Parkplatz hinter der Absperrung. Von den Scheinwerferlichtern der Polizeifahrzeuge geführt, gingen sie
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