03 - Auf Ehre und Gewissen
Frau. Ihr Inspector hat mich angerufen. Sie hat den Toten gefunden.«
»Ach, dann sind Sie Mr. St. James. Entschuldigen Sie, Sir.« Der Constable musterte Simon mit unverhohlen prüfendem Blick, als wolle er sich seiner Identität vergewissern. »Ich hab Sie nicht erkannt.« Als Simon nicht gleich antwortete, fühlte sich der junge Mann zu einer Erklärung gezwungen. »Ich hab Sie letzte Woche im Fernsehen in den Nachrichten gesehen, aber da konnte man nicht sehen ...«
Simon unterbrach. »Natürlich.« Den Rest des Satzes, den der Constable verlegen hinunterschluckte, konnte er sich denken. Natürlich nicht. Wieso sollte man ihm auch ansehen, daß er verkrüppelt war, wenn er auf der Treppe vor dem Old Bailey stand und den Reportern Auskunft über das genetische Fingerabdruckverfahren gab, dessen Befunde seit neuestem als Beweis bei Gericht zugelassen waren? Die Kamera blieb dabei ja auf sein Gesicht gerichtet. Sie interessierte sich nicht für das Schlimmste, das das Schicksal seinem Körper angetan hatte.
»Ist meine Frau dort drüben?« fragte er, auf die Lichter deutend.
Der Constable winkte zu einer breiten Einfahrt auf der anderen Straßenseite. »Sie wartet da in dem Haus gegenüber, Sir. Von dort aus hat sie uns angerufen.«
Simon nickte dankend und überquerte die Straße. Das Haus stand etwas zurückgesetzt hinter einem schmiedeeisernen Tor, dessen in einer Backsteinmauer verankerte Flügel offenstanden. Es war ein unscheinbares Gebäude mit Schindeldach, einer großen Garage, in der drei Autos Platz hatten, und weißen Gardinen an sämtlichen Fenstern. Einen Vorgarten hatte es nicht; die breite Einfahrt führte direkt zur Haustür mit der großen Milchglasscheibe.
Auf Simons Läuten öffnete eine Polizeibeamtin und führte ihn, nachdem er sich vorgestellt hatte, in ein Wohnzimmer im hinteren Teil des Hauses, wo vier Personen in chintzbezogenen Sesseln um einen niedrigen Couchtisch saßen.
Simon blieb an der Tür stehen. Die Szene, die er vor sich sah, wirkte gestellt: zwei Männer und zwei Frauen, die sich in einer Studie vorsichtig sondierender Prüfung gegenübersaßen. Die Männer trugen ihre Zugehörigkeit zur Polizei wie eine Tracht, obwohl keiner von beiden in Uniform war. Beide saßen vorgebeugt in ihren Sesseln, der eine mit einem Notizblock, der andere mit vorgestreckter Hand, als wolle er eine Bemerkung unterstreichen. Die Frauen saßen schweigend, ohne einander anzusehen, vielleicht in Erwartung weiterer Fragen.
Eine der Frauen war ein Mädchen von höchstens siebzehn Jahren. Sie trug einen formlosen Morgenrock aus Frottee, der am Ärmel einen Schokoladenfleck hatte, und dicke Wollsocken, die zu groß waren und an den Sohlen schmutzig. Sie war klein, beinahe erschreckend blaß, und ihre Lippen waren aufgesprungen, als wären sie rauhem Wind oder dörrender Sonne ausgesetzt gewesen. Sie war nicht unattraktiv; ein zartes kleines Ding; hübsch auf eine etwas verwaschene Art. Aber es war deutlich zu sehen, daß es ihr nicht gutging. Neben diesem zitternden Flämmchen war Deborah mit ihrer Masse flammend roten Haars und ihrer Elfenbeinhaut wie loderndes Feuer.
Simon hatte seine Frau einen Monat lang nicht gesehen. Seine Versuche, sich irgendwo auf ihrer Reise mit ihm zu treffen, hatte Deborah abgelehnt. Sie hatten immer nur telefoniert, und die Gespräche waren im Lauf der Wochen immer gezwungener geworden, immer schwieriger abzuschließen. Jedesmal verriet ihm ihr zögerndes Sprechen, wie sehr sie noch immer um das Kind trauerte, das sie verloren hatte, aber sie erlaubte ihm nicht, daran zu rühren, sagte immer nur »Bitte nicht«, wenn er es versuchte.
Sie blickte auf und lächelte ihn an, aber er las den Schmerz in ihrem Blick. Sie hatte ihn nie belügen können.
»Simon.«
Die anderen blickten in seine Richtung, und er kam ins Zimmer, ging zum Sessel seiner Frau, berührte leicht ihr leuchtendes Haar. Er hätte sie gern geküßt, in die Arme genommen, ihr Kraft eingehaucht. Aber er sagte nur: »Geht es dir gut?«
»Aber ja. Ich weiß gar nicht, warum sie dich angerufen haben. Ich wäre schon allein nach London zurückgekommen.«
»Der Inspector sagte, du hättest nicht sehr gut ausgesehen, als er hier herauskam.«
»Das war wahrscheinlich der Schock. Aber jetzt geht es mir wieder ganz gut.« Ihr Aussehen strafte die Worte Lügen. Simon bekam plötzlich Angst um sie.
»Nur noch einen Augenblick, Mrs. St. James, dann sind Sie frei.« Der ältere Polizeibeamte, wahrscheinlich ein
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