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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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irgendwann nach dem Tod hierher gebracht worden.«
    Canerone, der neben ihm stand, nickte. »Mich beunruhigt mehr, was vor dem Eintritt des Todes geschah, Mr. St. James. Der Junge wurde gefoltert.«

4
    Lynley klappte seine alte verbeulte Taschenuhr auf, sah, daß es ein Viertel vor acht war, und mußte sich eingestehen, daß er seinen Arbeitstag nicht mehr sehr in die Länge ziehen konnte. Sergeant Havers war schon gegangen, ihr gemeinsamer Bericht war fertig und zur Übergabe an Superintendent Webberly bereit; wenn jetzt nicht irgend etwas Drastisches geschah, das ihn hier festhielt, mußte er nach Hause gehen.
    Und gerade das wollte er nicht, das bekannte er offen vor sich selbst. Sein Zuhause war ihm in den vergangenen zwei Monaten weder Ausflucht noch Zuflucht gewesen; vielmehr heimtückische Falle, in der ihn Erinnerungen einfingen, sobald er durch die Tür trat.
    So viele Jahre hatte er dahingelebt, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich darüber klar zu werden, welche Bedeutung Helen Clyde in seinem Leben hatte. Sie war einfach immer da gewesen. Stand plötzlich mit einer Einkaufstasche voll Kriminalromanen in seiner Bibliothek und behauptete, er müsse die Bücher unbedingt lesen; erschien früh um halb acht überraschend zum Frühstück und berichtete von ihren Plänen für den bevorstehenden Tag, während sie mit Genuß Eier und Schinken aß; brachte ihn mit verrückten Anekdoten über ihre Arbeit im St. James' Labor zum Lachen ( »Stell dir vor, Tommy, heute hat dieser Mensch doch tatsächlich eine Leber seziert, während wir Tee tranken!« ); reiste mit ihm auf seinen Familiensitz nach Cornwall; machte ihm das Leben lebenswert.
    Jedes Zimmer im Haus erinnerte ihn an Helen. Nur das Schlafzimmer nicht. Helen war immer nur seine Freundin gewesen, nie seine Geliebte, und als sie gemerkt hatte, wie sehr er wünschte, daß sie in seinem Leben eine andere Rolle übernahm als bloß die der vertrauten Freundin, hatte sie ihn verlassen.
    Er nahm ihre Ansichtskarte, las noch einmal die heiteren Worte, die er längst auswendig wußte, und versuchte zu glauben, sie enthielten ein verborgenes Bekenntnis von Liebe und Zugehörigkeit, das sich offenbaren würde, wenn er nur genau hinsah. Aber er konnte sich nicht selbst belügen. Die Botschaft war deutlich. Sie brauchte Zeit. Sie brauchte Abstand. Er hatte sie in ihrem inneren Gleichgewicht erschüttert.
    Resigniert steckte er die Karte ein und sah der unausweichlichen Realität ins Auge, daß er jetzt nach Hause fahren mußte. Als er aufstand, fiel sein Blick auf die Fotografie Matthew Whateleys, die John Corntel zurückgelassen hatte. Er nahm sie zur Hand.
    Sie zeigte einen ausgesprochen hübschen, dunkelhaarigen Jungen mit einer Haut von der Farbe geschälter Mandeln und Augen, die fast schwarz wirkten. Corntel hatte ihnen erzählt, daß der Junge dreizehn Jahre alt war, in der dritten Schulklasse. Er sah weit jünger aus und hatte ein so zart gezeichnetes Gesicht wie ein Mädchen.
    Unbehagen regte sich in Lynley, während er das Bild betrachtete. Er war lange genug bei der Polizei, um zu wissen, was das Verschwinden eines so hübschen Kindes bedeuten konnte.
    Es würde nur einen Moment in Anspruch nehmen, auf den Computer zu schauen, an den alle Polizeidienststellen in England und Wales angeschlossen waren. Wenn man Matthew irgendwo gefunden hatte - ob tot oder lebendig, aber aus Angst vor Strafe nicht bereit, sich zu erkennen zu geben -, würde man in der Hoffnung, daß eine andere Dienststelle ihn identifizieren konnte, eine volle Beschreibung in den Computer einspeisen. Es war einen Versuch wert.
    Um diese Zeit war der Computerraum mit nur einem Mann besetzt, einem Constable, von dem Lynley wußte, daß er beim Raubdezernat war. An seinen Namen konnte er sich im Augenblick nicht erinnern. Sie nickten einander zu, ohne zu sprechen, und Lynley ging zu einem der Terminals.
    Da er im Grund nicht erwartete, so bald nach dem Verschwinden des Jungen eine Information zu bekommen, die sich auf ihn bezog, behielt er, nachdem er die Daten eingetippt hatte, den Bildschirm nur beiläufig im Auge und hätte darum die Meldung der Polizeidienststelle Slough beinahe übersehen: Leiche eines männlichen Kindes, braunes Haar, braune Augen, zwischen neun und zwölf Jahre alt, in der Nähe von St. Giles in Stoke Poges. Todesursache bisher noch unbekannt. Identität unbekannt. Acht Zentimeter lange Narbe auf dem linken Knie. Muttermal am Rücken. Größe 1,35 m; Gewicht

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