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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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zurück.«
    »Ja, das ist richtig. Sie helfen nur der Gerechtigkeit. Und ich weiß, daß Gerechtigkeit kein Ersatz für Ihren Sohn ist. Glauben Sie mir. Das weiß ich wirklich.«
    »Kev?« Die Frauenstimme kam aus dem oberen Stockwerk und klang schwach, verschlafen vielleicht. Whateleys Blick eilte nach oben, aber er antwortete nicht; er rührte sich nicht von der Stelle.
    »Haben Sie jemanden, der die Nacht über bei Ihnen bleiben kann?« fragte Lynley.
    »Wir brauchen niemanden«, antwortete Whateley.
    »Meine Frau und ich kommen schon allein zurecht. Nur wir beide.«
    »Kev?« Die Stimme der Frau war jetzt näher, und auf der Treppe hinter der Tür waren Schritte zu hören.
    »Wer ist denn da?«
    Whateley blickte über seine Schulter zu der Frau, die Lynley noch nicht sehen konnte. »Die Polizei. Jemand von Scotland Yard.«
    »Dann laß ihn doch rein.« Noch immer rührte sich Whateley nicht. »Kev! Laß ihn rein!«
    Ihre Hand schob sich um die Tür herum und zog sie ganz auf, so daß Lynley die Frau jetzt sehen konnte. Patsy Whateley, die Mutter des toten Jungen, seiner Schätzung nach Ende Vierzig, war eine ziemlich unauffällige Erscheinung, die selbst in ihrem Schmerz in der gesichtlosen Anonymität einer Menge untergegangen wäre. Auf der Straße zog sie so, wie sie jetzt aussah, gewiß nicht einmal flüchtige Aufmerksamkeit auf sich, mochte sie in ihrer Jugend auch noch so hübsch gewesen sein. Der Körper war dicklich, so daß sie kräftiger wirkte, als sie vermutlich in Wirklichkeit war.
    Der zerknitterte Nylonmorgenrock war mit chinesischen Drachen bedruckt, die sich feuerspeiend auf ihrem Busen und ihren Hüften bäumten. Daß dieses Kleidungsstück in seiner ganzen Grellheit von Patsy Whateley besonders geschätzt wurde, verriet die Tatsache, daß die grünen Hausschuhe offensichtlich in dem erfolglosen Bemühen ausgesucht worden waren, es farblich zu ergänzen.
    »Kommen Sie herein.« Sie zog den Gürtel ihres Morgenrocks noch fester zu. »Ich sehe bestimmt aus wie - aber ich konnte nichts tun seit ...«
    »Mrs. Whateley, bitte! Es ist vollkommen in Ordnung«, versicherte Lynley. Was glaubte die arme Person denn, daß er von einer Frau erwartete, die gerade erst vom grausamen Tod ihres Kindes erfahren hatte? Haute couture? Die Vorstellung war absurd. Und doch schien sie, während sie versuchte, eine Knitterfalte glattzustreichen, ihre eigene Erscheinung mit der seinen zu vergleichen, als fühlte sie sich durch seine maßgeschneiderte Eleganz in ihrem Aussehen herabgesetzt. Er fühlte sich äußerst unbehaglich und wünschte, er hätte soweit vorausgedacht, Barbara Havers mitzunehmen. Selbst aus Arbeiterkreisen stammend und wenig Wert auf Kleidung legend, hätte sie ihm über diese äußerlichen Schwierigkeiten hinweghelfen können, die auf dem offenkundigen Standesunterschied beruhten.
    Von der Haustür trat man direkt ins Wohnzimmer. Die Einrichtung war dürftig: eine dreisitzige Couch, ein mit Resopal furniertes Büffet, ein Sessel ohne Armlehnen, der mit einem braun-gelben Karo bezogen war, und ein langes niedriges Regal unter den Fenstern. Auf diesem reihten sich zwei Sammlungen von Gegenständen, Steinskulpturen auf der einen Seite, eine Reihe von Tassen auf der anderen; beide gleichermaßen enthüllend.
    Wie jede Kunstsammlung legten die Skulpturen Zeugnis von einem bestimmten Geschmack ab: Nackte Frauen räkelten sich in ungewöhnlichen Positionen mit aufgerichteten spitzen Brüsten; Paare umschlangen und bäumten sich in scheinbar wilder Leidenschaft; nackte Männer erkundeten die Körper nackter Frauen, die diese Aufmerksamkeit mit verzückt zurückgeworfenen Köpfen aufnahmen. Raub der Sabinerinnen, dachte Lynley, wobei die Frauen offenbar nichts sehnlicher wünschten als die Entführung.
    Die Teetassen auf der anderen Seite des Regals trugen Aufschriften, die sie als Souvenirs kennzeichneten. Aus Ferienorten im ganzen Land zusammengetragen, zeigte jede ein Bildchen, an dem man ihre Herkunft erkennen konnte; der Name des Orts stand in goldener Schrift darunter für den Fall, daß das Bild zur Erinnerung nicht genügte. Einige der Namen konnte Lynley, der noch immer an der Tür stand, entziffern. Blackpool, Weston-Super-Mare, Ilfracombe, Skegness. Bei anderen befand sich die Schrift auf der Rückseite, aber er konnte an den aufgemalten Szenen erkennen, wo sie gekauft waren. Tower Bridge, Edinburgh, Salisburgh, Stonehenge. Sie erinnerten zweifellos an Orte, die die Whateleys mit ihrem Sohn

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