03 - Auf Ehre und Gewissen
Inspector. Mehr bedeutete Yvonnen Matthew sicherlich nicht. Und außerdem ...« Sie verstummte.
»Schwarz«, warf ihr Mann ein.
»Yvonnen Livesley ist eine Schwarze?« erkundigte sich Lynley.
Kevin Whateley nickte, als sei Yvonnens Hautfarbe Beweis genug, um ihre Behauptung zu stützen, daß Matthew nicht ohne Erlaubnis das Internat verlassen hätte. Doch diese Beweisführung stand auf schwachen Füßen: insbesondere, wenn die beiden Kinder zusammen aufgewachsen waren; insbesondere wenn sie, wie Patsy Whateley erklärt hatte, dicke Freunde gewesen waren.
»Gab es irgend etwas, dem Sie vielleicht hätten entnehmen können, daß Matthew sich in letzter Zeit auf der Schule nicht wohl fühlte? Vielleicht nur in den letzten Wochen. Aus einem Grund, von dem Sie nichts wissen. Manchmal machen Kinder etwas durch und schaffen es nicht, sich den Eltern anzuvertrauen. Es hat mit der Beziehung, die zwischen Eltern und Kind besteht, nichts zu tun. So etwas kommt einfach vor.«
Er dachte an seine eigene Schulzeit, seine eigene vorgetäuschte Unbeschwertheit. Er hatte sich keinem Menschen anvertraut, am wenigsten seinen Eltern.
Keiner der beiden antwortete. Kevin betrachtete aufmerksam das Futter seiner Mütze, Patsy starrte mit gerunzelter Stirn in ihren Schoß, Lynley sah, daß sie zu zittern anfing, darum richtete er seine Worte an sie.
»Es ist nicht Ihre Schuld, wenn Matthew vom Internat weggelaufen ist, Mrs. Whateley. Sie sind nicht verantwortlich. Wenn er meinte, weglaufen zu müssen ...«
»Er mußte doch hingehen. Wir haben versprochen ... Ach, Kev, er ist tot, und wir haben's getan. Wir haben's getan!«
Im Gesicht ihres Mannes arbeitete es, aber er ging nicht zu ihr. Statt dessen sah er Lynley an.
»Der Junge wurde in den letzten vier, fünf Monaten furchtbar still.« Er sprach gepreßt. »In den letzten Ferien hab ich ihn dreioder viermal erwischt, wie er in seinem Zimmer stand und nur zum Fenster rausstarrte. Wie in Trance war er. Aber er wollte wohl nicht darüber reden. Das war nicht seine Art.« Kevin sah seine Frau an. Sie bemühte sich krampfhaft, den Schein höflicher Verbindlichkeit zu wahren, die sie offenbar für angebracht hielt.
»Ja, Pats, wir haben's getan.«
Barbara Havers betrachtete die Fassade des Hauses ihrer Eltern in Acton und registrierte, was an dem Gebäude in Ordnung gebracht werden mußte, um es zu einem erfreulicheren Zuhause zu machen. Jeden Abend nahm sie diese Bestandsaufnahme vor und stets begann sie mit den Dingen, die am einfachsten zu korrigieren waren. Die Fenster starrten vor Schmutz. Gott allein wußte, wann sie das letzte Mal geputzt worden waren. Aber es würde nicht viel Mühe kosten, sie zu säubern, wenn sie einmal genug freie Zeit hatte, eine Leiter und die Energie, um die Sache richtig anzupacken. Die Backsteinmauern mußten gründlich abgeschrubbt werden. Ruß und Schmutz von fünfzig Jahren hatten die porösen Steine durchdrungen und mit einer häßlichen Patina in variierenden Schwarztönen überzogen. Am Holz der Fensterrahmen und der Tür war schon lange kein Fitzelchen Farbe mehr. Ihr schauderte bei dem Gedanken, wie lange sie brauchen würde, um das alles abzuschmirgeln und neu zu streichen. Die Regenrohre, die vom Dach abwärts führten, waren durchgerostet, und das Wasser spritzte aus sämtlichen Löchern, wenn es regnete. Sie würden ganz neu gemacht werden müssen. Genau wie der Vorgarten, der schon lange kein Garten mehr war, sondern nur noch ein Quadrat festgetrampelter Erde, auf dem sie ihren Mini zu parken pflegte, der, klapprig und voller Rostflecken, gut ins Allgemeinbild paßte.
Als sie ihre Aufnahme abgeschlossen hatte, stieg sie aus dem Wagen und ging ins Haus. Lärm und eine Vielfalt von Gerüchen schlugen ihr entgegen. Aus dem Wohnzimmer dröhnte der Fernsehapparat; Küchendünste stritten mit Modergeruch und den Ausdünstungen ungewaschener Körper um die Vorherrschaft.
Barbara legte ihre Umhängetasche auf den wackligen Rattantisch neben der Tür und hängte ihren Mantel zu den anderen an die Haken unter der Treppe. Dann ging sie zum Wohnzimmer im rückwärtigen Teil des Hauses.
»Kind?« rief ihre Mutter quengelnd von oben. Barbara blieb stehen und sah hinauf.
Doris Havers stand nur mit einem dünnen Baumwollnachthemd bekleidet und bloßen Füßen auf der obersten Stufe. Der Lichtschein hinter ihr, der aus ihrem Schlafzimmer kam, zeichnete jede kantige, scharfe Linie ihres beinahe zum Skelett abgemagerten Körpers nach.
»Du bist ja
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