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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Scotland Yard.«

    Lynley hielt den Wagen in der Queen Caroline Street an. Näher kam er an das Haus der Whateleys unten am Fluß nicht heran. Er parkte regelwidrig auf dem einzigen freien Platz, halb vor der Einfahrt eines Apartmenthauses, und stellte seinen Dienstausweis ans Steuerrad gelehnt hinter die Windschutzscheibe. Zu beiden Seiten der Straße standen triste Nachkriegsbauten, grauer Beton neben schmutzigem braunen Backstein, schmucklos, kahl, unfreundlich.
    Selbst an diesem Sonntag abend um zehn war das Viertel von dröhnendem Lärm erfüllt, der ohrenbetäubend durch die Straße hallte und sich an den Häusern brach. Autos und Lastwagen donnerten über die Überführung und die Hammersmith Bridge. Laute Stimmen schallten durch die Hinterhöfe, hier und dort kläffte ein Hund.
    Lynley ging bis zum Ende der Straße und von dort zur Uferstraße hinunter. Es war Flut, das Wasser schimmerte wie kühler schwarzer Satin in der Dunkelheit, doch das, was an Frische vom Fluß aufstieg, wurde verschluckt von den Abgasen, die von der Brücke heruntertrieben.
    Das Haus der Whateleys war ein paar hundert Meter weiter an der Lower Mall, hartnäckige Erinnerung an Hammersmiths Vergangenheit: ein altes Fischerhaus, das nie renoviert worden war, mit weißgetünchten Mauern, schmalen schwarzen Holzleisten und vorspringenden Mansardenfenstern im Dach.
    Ein schmaler Durchgang, der das Haus der Whateleys vom Pub nebenan trennte, führte zur Tür. Abgestandener Biergeruch füllte das dunkle Loch aus. Lynley streifte mit dem Kopf beinahe die rohen Holzbalken der niedrigen Decke.
    Soweit hatte alles den üblichen Verlauf genommen. Lynleys Anruf in Stoke Poges hatte zur Folge gehabt, daß keine Stunde später Kevin Whateley seinen Sohn identifiziert hatte. Das wiederum führte zu Lynleys Vorschlag, die Ermittlungen über den Tod des Jungen in Scotland Yard zu koordinieren, da die Zuständigkeit über ein Polizeidezernat hinausging: betroffen waren nämlich West Sussex, wo Matthew Whateley in Bredgar Chambers zuletzt lebend gesehen worden war, und Buckinghamshire, wo man die Leiche des Jungen gefunden hatte. Nachdem Inspector Canerone dieser Vorgehensweise zugestimmt hatte - bereitwilliger als üblich, wenn von Scotland Yard der Vorschlag kam, in die Zuständigkeit einer anderen Polizeistation einzugreifen -, brauchte Lynley nur noch die Genehmigung seines Vorgesetzten, Superintendent Webberly, einzuholen, um sich einen weiteren Fall an Land zu ziehen, der ihn Tage oder vielleicht sogar Wochen beschäftigen würde. Zur Unterbrechung seines gemütlichen Fernsehabends genötigt, hatte sich Webberly Lynleys knappen Bericht angehört, zu seinem Vorschlag, den Fall persönlich zu übernehmen das Placet gegeben, und war glücklich wieder zu BBC-1 zurückgekehrt.
    Sergeant Havers war die einzige, die über diese Entwicklung der Dinge aller Voraussicht nach nicht erfreut sein würde. Aber das ließ sich nun mal nicht ändern.
    Lynley klopfte an die verwitterte Tür, deren Sturz so durchhing, als trüge sie die Last des ganzen Gebäudes. Als niemand öffnete, sah er sich nach einer Klingel um, entdeckte keine und klopfte noch einmal, stärker diesmal. Er hörte, wie ein Schlüssel gedreht und ein Riegel aufgezogen wurde. Dann stand er dem Vater des Jungen gegenüber.
    Bis zu diesem Moment war der Tod Matthew Whateleys Lynley nicht mehr gewesen als ein Mittel, den eigenen Nöten zu entfliehen und die Leere zu verleugnen. Angesichts des Leids jedoch, von dem Kevin Whateleys Gesicht gezeichnet war, erfaßte ihn tiefe Scham über seine egoistischen Motive. Dies war die wirkliche Leere. Seine eigene Einsamkeit, sein eigener Mangel waren lächerlich im Vergleich dazu.
    »Mr. Whateley?« Er zeigte seine Dienstmarke. »Thomas Lynley. Scotland Yard.«
    Whateley warf keinen Blick auf die Dienstmarke. Nichts verriet, ob er Lynley überhaupt gehört hatte. Er schien gerade erst von der Identifizierung seines toten Sohnes nach Hause gekommen zu sein; er trug noch einen abgewetzten Wollmantel und eine Schirmmütze.
    Sein Gesicht sagte Lynley, daß er versuchen würde, mit dem Verlust durch Verleugnung fertigzuwerden. Jeder Muskel war eisern beherrscht. Die grauen Augen waren stumpf wie ungeschliffene Steine.
    »Darf ich reinkommen, Mr. Whateley? Ich muß Ihnen einige Fragen stellen. Ich weiß, wie spät es schon ist, aber je früher ich die Auskünfte habe -«
    »Hat doch sowieso keinen Sinn«, erwiderte Whateley.
    »Auskünfte bringen Mattie nicht

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