03 - Auf Ehre und Gewissen
zurechtfanden.
Chas zwinkerte einmal hinter seinen goldgeränderten Brillengläsern und antwortete: »Ich nehme an, das wissen Sie, Sir. Oder werden es sich denken können. Sofortige Verweisung aus der Schule.«
»Ganz schön hart«, bemerkte Havers.
»Aber es wirkt.« Chas deklamierte feierlich: »›Tadelloses Verhalten im Umgang mit dem anderen Geschlecht ist für die Schüler und Schülerinnen von Bredgar Chambers eine Selbstverständlichkeit‹ Seite dreiundzwanzig der Schulordnung. Die erste Seite, die jeder aufschlägt, wenn er herkommt. Gutgemeinte Wünsche.« Er grinste, öffnete eine Tür und winkte sie in einen kurzen Korridor, der nicht so alt zu sein schien wie der Rest des Gebäudes. »Wir gehen durch die Sporthalle. Das ist eine Abkürzung zum Haus Erebos. Dort hat Matthew Whateley gewohnt.«
Ihr Eintreten in die Sporthalle, offensichtlich ein Anbau jüngeren Datums, führte zu einer etwas peinlichen Unterbrechung der Turnstunde, die am Trampolin auf der Westseite der Halle abgehalten wurde. Das Grüppchen kleiner Jungen drehte sich wie auf Kommando herum und starrte sie an, ohne einen Ton zu sprechen. Ihr Verhalten war entschieden sonderbar. Man hätte erwartet, daß sie wenigstens miteinander tuschelten, vielleicht kicherten oder sich gegenseitig pufften. Sie waren schließlich Kinder. Keiner von ihnen schien älter als dreizehn Jahre. Aber sie zeigten keine Spur von der Rastlosigkeit überschüssiger Energie, die Kindern dieses Alters im allgemeinen eigen ist. Statt dessen standen sie da wie die Lämmer und starrten Lynley an.
»Jungs! Jungs!« rief ihr Lehrer, ein nervös wirkender junger Mann in Turnhose und Polohemd. Aber die Kinder reagierten nicht. Lynley konnte sich beinahe vorstellen, wie sie einen kollektiven Seufzer der Erleichterung ausstießen, als er und Havers Chas Quilter aus dem Saal folgten.
Ein Kiesweg führte sie am Mathematikbereich vorbei, unter lichten Birkengruppen hindurch, und brachte sie schließlich zum Schülereingang von Haus Erebos. Es war wie die anderen Schulbauten aus dem honigfarbenen Stein von Somerset errichtet und mit Schiefer gedeckt. Auch hier gab es keine Kletterpflanzen bis auf eine Klematis, die eine geschlossene Tür am Ostende des Gebäudes umrankte.
»Das sind die Privatunterkünfte«, sagte Chas, der Lynleys Blick bemerkte. »Mr. Corntels Wohnung. Die Zimmer der Sextaner sind hier.« Er öffnete die Tür und ging ins Haus.
Für Lynley war es eine Rückkehr in die Vergangenheit. Der Vorsaal selbst war anders als der seines früheren Wohnhauses in Eton, aber die Gerüche waren die gleichen. Verschüttete Milch, die, niemals aufgewischt, sauer geworden war, verbrannter Toast, den jemand unbeachtet liegengelassen hatte, schmutz starrende Hemden und Hosen, von denen durchdringender Schweißgeruch ausging; und die Hitze, die von den blubbernden Heizkörpern abstrahlte, buk all diese Gerüche zu ewigem Fortbestand in Decken, Mauern und Böden. Selbst wenn das Haus an Wochenenden oder in den Ferien leer war, hielten sich die Gerüche hartnäckig.
Erebos war offensichtlich eines der älteren Gebäude. Das zeigte sich schon daran, daß der ganze Vorsaal vom Boden bis zur Decke in Eichenholz getäfelt war, das früher einmal vermutlich einen warmen goldenen Glanz gehabt hatte. Im Lauf der Jahre jedoch war das Gold gedunkelt, und Generationen von Schuljungen, die kein Gefühl für etwas aufbringen konnten, nur weil es alt war, hatten dafür gesorgt, daß der Glanz stumpf geworden war. Die Täfelung war aufs brutalste zerkratzt und verschrammt.
Die wenigen Möbelstücke waren nicht in viel besserem Zustand. Der lange, schmale Refektoriumstisch an der Wand - Ablage für die Post, wie es schien - war zerschunden von Koffern und Reisetaschen, Schulbüchern und Paketen von zu Hause, die seit Jahren achtlos auf ihm niedergeworfen wurden. Die beiden Sessel, die nicht weit entfernt von ihm standen, waren voller Flecken, und die Polster fehlten. Zwischen ihnen an der Wand war ein Münztelefon angebracht, und in die Holztäfelung rundherum waren zahllose Namen und Nummern eingeritzt. Das einzige Stück im ganzen Vorsaal, das man mit einigem guten Willen als dekorativ hätte bezeichnen können, war die Hausfahne, die jemand vernünftigerweise in einen Glaskasten an der Wand eingeschlossen hatte. Auch sie wirkte allerdings reichlich mitgenommen, das Bild darauf war kaum noch zu erkennen.
»Das soll Erebos sein«, bemerkte Chas, als Lynley und Havers die Fahne
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