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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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war Clive in eine Phantasiewelt eingetaucht und hatte sich in eine Kreuzung zwischen Quasimodo und dem Phantom der Oper verwandelt.
    Zu seiner Maske gehörte ein lang herabbaumelnder Ohrhänger, bei dessen Anblick sich Chas an den Oktoberabend im Oberstufen-Club erinnerte, als Clive sich mit einer Polsternadel das Ohr durchstochen hatte.
    Clive hatte den ganzen Abend Whisky getrunken, den er nach den Ferien heimlich eingeschmuggelt hatte. Und je mehr er getrunken hatte, desto lauter, überheblicher und aggressiver war er geworden. Er wollte unbedingt die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und als er das mit bloßer Angeberei, mit einer Tätowierung, die er sich mit Federmesser und Tusche in den vergangenen Ferien selbst auf den Innenarm geritzt hatte, nicht erreichte, versuchte er sein Publikum durch eine realistische Zurschaustellung seiner selbstzerstörerischen Neigungen zu fesseln. Es war klar, daß er die Vorstellung von Anfang an geplant hatte; Polsternadeln gehörten nicht zu den Gegenständen, die ein Schüler gewöhnlich in der Hosentasche hat. Doch Clive hatte eine herausgezogen und sie, ohne mit der Wimper zu zucken, an sein Ohrläppchen gesetzt. Chas erinnerte sich lebhaft der Szene: wie die lange gebogene Nadel sich in Clives Ohrläppchen gebohrt hatte und auf der anderen Seite wieder herausgekommen war. Er hatte nicht gewußt, daß ein Ohr so stark bluten konnte. Eines der Mädchen war ohnmächtig geworden. Zwei anderen war übel geworden. Und Clive hatte die ganze Zeit gegrinst wie ein Irrer.
    »Na? Dir gefallen?« Clive, der bis jetzt vor dem Spiegel gestanden hatte, wirbelte herum, um seine Maske zu zeigen, eine Perücke mit schütterem Haar, faulende Zähne, rotumrandete Triefaugen, durch kleine Korken weit geblähte Nasenlöcher. »Das ist doch besser als dein blutarmer Hamlet, Quilter, gib's zu.«
    Es bereitete Chas keine Schwierigkeiten, es anzuerkennen. Er hatte Hamlet gewählt, weil es leicht gewesen war, die entsprechende Maske zu entwerfen. Sie verlangte nur ein Minimum an Verwandlung, da er vom Typ her der allgemeinen Vorstellung von der Gestalt des Dänenprinzen von vornherein entsprach. Der Entwurf seiner Maske hatte weder künstlerischer Begabung noch künstlerischer Gestaltungskraft bedurft, aber das war ihm gleichgültig. Er konnte sich sowieso nicht für die Arbeit begeistern. Er konnte sich seit Monaten für nichts mehr begeistern.
    Clive tänzelte wie ein Boxer umher. »Na los, Quilter. Gib's schon zu. Wenn die Hasen in Galatea die Visage sehen, fallen sie reihenweise um. Und wenn sie dann alle Viere von sich strecken -« Er lachte und schob in eindeutiger Bewegung sein Becken vor. »Das ist wie 'ne Art Nekrophilie, wenn man's mit einer Ohnmächtigen treibt. Heiß, sag ich dir. Aber das weißt du ja schon, was?«
    Die Worte huschten an Chas vorbei. Er dachte nur daran, wie froh er war, daß Clive sich nicht die Vertraulichkeit herausnahm, ihn beim Vornamen zu nennen. Das war ein positives Zeichen. Es sagte ihm, daß er trotz allem noch nicht ganz verloren hatte.
    »Hey, mit dem Gesicht könnte ich mich gut anschleichen, was, Quilter?« fragte Clive und demonstrierte sein Vorhaben sogleich, indem er auf Zehenspitzen durch das Zimmer schlich, verstohlen in einen Spiegel sah, hinter einem Kleiderständer verschwand und mit einem Sprung wieder hervorkam. »Ich schleich mich über den Hof. Es ist dunkel, verstehst du?« Er nahm sich einen Umhang vom Ständer, legte ihn um die Schultern und führte die Szene vor, die er beschrieb. »Ich könnte mich nach Galatea rüberschleichen und mal schauen, was der alte Cowfrey Pitt und seine Angetraute so treiben, aber heut abend hab ich was anderes vor. O ja, was ganz anderes.« Er grinste. Seine Eckzähne waren lang, Wolfszähne. »Heute abend guck ich mal unserem Herrn Direktor auf die Finger. Ich werde die Wahrheit ergründen. Bumst der alte Lockwood wirklich in der Robe? Bumst er seine Frau oder ist ihm vielleicht so ein appetitlicher kleiner Sextaner lieber? Oder nimmt er sich jede Nacht ein anderes Mädchen aus Galatea oder Eirene? Und wenn er auf ihnen rumrammelt wie ein alter Bock, stöhnen sie dann, ›Ooooh, OOOh Herr Direktor, das tut ja so gut. Sie sind ein toller Liebhaber!‹ Ich allein werde wissen, was vorgeht, Quilter. Und wenn sie dann total ausgepumpt von ihren Liebesübungen hochschauen und mein Gesicht am Fenster sehen - diese Fratze! -, haben sie keine Ahnung, wer ihnen zugeschaut hat. Ha, ha! Sie werden Zeter und

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