03 - Auf Ehre und Gewissen
was der alte Jervy sich für die Geschichtsarbeit am nächsten Dienstag ausgedacht habe?«
Corntel lächelte. »Wie sagte Rowton immer? ›So funktioniert das nicht, Freunde. Ich seh nur, was die Burschen tun oder tun werden, aber nicht, was sie denken.‹ Einer sagte mal, wenn er sehen könne, was sie tun würden, dann müsse er doch auch die Klassenarbeit sehen können; wenn eine Arbeit aufgeschrieben werde, sei das ja auch eine Tätigkeit.«
»Ja, und Rowton beschrieb darauf im Detail, wie Jervy über dem Entwurf für die Klassenarbeit saß. Wenn ich mich richtig erinnere, schilderte er uns sogar, wie Mrs. Jervy in Minirock und weißen Lackstiefeln ins Zimmer kam, um ihren Mann zum Essen zu rufen.«
»Mrs. Jervy war der Mode immer ein paar Jahre hinterher, nicht?« sagte Corntel lachend. »Gott, dieser Rowton war wirklich eine Marke. Ich habe seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht. Wie bist du denn auf ihn gekommen?«
»Weil ich mich fragte, wer hier am letzten Wochenende Aufsicht hatte, John. Warst du es?«
Corntel fingerte an der Espressomaschine, die laut zischend Dampf ausstieß, während Kaffee in eine Glaskanne zu rinnen begann. Corntel schenkte zwei Täßchen ein, stellte sie mit Zuckerdose und Milchkännchen auf ein Tablett und trug dieses zum Tisch. Er schob den Aschenbecher auf die Seite, leerte ihn aber nicht aus. Erst jetzt reagierte er auf Lynleys Frage.
»Du bist sehr geschickt, Tommy. Ich habe das nicht einmal kommen sehen. Hast du immer schon so ein Talent für den Überraschungsangriff besessen?«
Lynley nahm eine der Kaffeetassen und setzte sich in einen Sessel. Corntel folgte seinem Beispiel. Er stellte eine Gitarre auf die Seite - Lynley bemerkte, daß zwei Saiten gerissen waren - und ließ sich auf dem Sofa nieder. Seinen Kaffee hatte er auf dem Tisch stehengelassen.
»Matthew Whateley hat in diesem Haus gewohnt«, erwiderte Lynley. »Du warst für sein Wohlbefinden verantwortlich. Am letzten Wochenende verschwand er. Ich habe den Eindruck, daß du dich in höherem Maße schuldig fühlst, als deiner Position als Hausvater angemessen wäre. Darum frage ich mich, ob du an diesem Wochenende auch Aufsichtsdienst für die ganze Schule hattest.«
Corntels Hände hingen schlaff zwischen den Knien herab. Er schien völlig preisgegeben. »Ja. Jetzt weißt du das Schlimmste. Ja.«
»Ich nehme an, du hast keinen Rundgang gemacht.«
»Könntest du mir glauben, wenn ich sage, daß ich es vergessen habe?« Er sah Lynley direkt an. »Ich habe es vergessen. Eigentlich war es nicht mein Aufsichtswochenende. Ich hatte ein paar Wochen vorher mit Cowfrey Pitt getauscht und habe es dann einfach vergessen.«
»Wer ist Cowfrey Pitt?« »Der Deutschlehrer. Hausvater in Galatea, einem der Mädchenwohnheime.«
»Warum wollte er tauschen? Oder wolltest du es?«
»Nein, er. Ich weiß nicht, warum. Ich habe ihn nicht gefragt. Es machte mir sowieso nichts aus. Ich bin immer hier, es sei denn, es sind Ferien. Und selbst dann manchmal ... Aber das interessiert dich nicht. Du weißt jetzt alles. Ich habe vergessen, die Runden zu machen. Es schien gar nicht weiter schlimm zu sein. Die meisten Schüler waren weg. Aber wenn ich meine Pflicht getan hätte, dann hätte ich Matthew Whateley vielleicht ertappt, ehe er weglaufen konnte. Aber ich habe es nicht getan. Daran ist jetzt nichts mehr zu ändern.«
»Wissen alle Schüler immer, wer Aufsichtsdienst hat?«
»Die Hausältesten. Sie bekommen jeden Monat eine Liste. Sie melden es dem Aufsichtslehrer, wenn etwas nicht in Ordnung ist, darum müssen sie natürlich informiert sein.«
»Haben sie auch gewußt, daß du mit Pitt getauscht hast?«
»Lockwood hätte es ihnen sagen müssen. Der Tausch mußte von ihm abgesegnet werden. Das ist immer so.«
Corntel beugte sich vor, stützte die Stirn in die Hand.
»Lockwood weiß nicht, daß ich meine Runden nicht gemacht habe, Tommy. Er sucht einen Sündenbock. Er braucht dringend einen, damit sein eigener Name sauber bleibt.«
Lynley wollte nicht über Lockwood sprechen. »Ich habe keine Wahl, als dir die nächste Frage zu stellen, John. Du hast Freitag abend keine Runde gemacht. Und Samstag auch nicht. Was hast du getan? Wo warst du?«
»Hier. Das schwöre ich.«
»Kann das jemand bestätigen?«
Die Espressomaschine stieß eine neue Dampfwolke aus. Corntel ging hin und zog den Stecker heraus. Mit gesenktem Kopf, die Hände um die Kaffeekanne, blieb er in der Ecke des Zimmers stehen.
»Emilia Bond?« fragte
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