03 - Der Herr der Wölfe
Drohung wahrzumachen. Aber irgendetwas in ihrer verzweifelten Miene rührte ihn. Er musste ihr tatsächlich zugutehalten, dass sie eben erst ihren geliebten Vater verloren hatte. Außerdem bewunderte er ihren Mut, den er allerdings eher jugendlichen Leichtsinn nannte. Niemals hätte sie Gerald so tollkühn entgegenreiten dürfen, dachte er. Wäre sie schon gestern in meiner Obhut gewesen, hätte ich sie viel empfindlicher gestraft als vorhin.
Fluchend stellte er sie auf die Beine und schob sie zu Ragwald hinüber. »Kümmert Euch um sie, und ich empfehle Euch dringend, Eurer jungen Schülerin Vernunft beizubringen. Mir selber ist das zu mühsam.« Voller Ungeduld verließ er das Zimmer und kehrte in die Halle zurück.
Inzwischen hatten sich mehrere Schlossbewohner zu Brenna und Swen gesellt, darunter Philippe, der Hauptmann, und Gaston, dessen älterer Berater.
Auf dem Tisch lagen die Pläne der Festung, und Conar beugte sich interessiert darüber, erneut fasziniert von der gründlich durchdachten, strategisch perfekten Bauweise. Diese Festung müsste jeder Belagerung standhalten, sagte er sich. Die Türme waren so postiert, dass man nach allen Seiten schauen und eventuelle Gefahren frühzeitig er kennen konnte. Die einzigen Schwachstellen lagen wahrscheinlich innerhalb der Mauern. Oder in einem tückischen Verrat, so wie Gerald ihn am Vortag geübt hatte.
»Ein prachtvoller Besitz!« meinte Swen, und Philippe nickte stolz.
Conar musterte ihn etwas genauer. Ein tüchtiger Hauptmann, dachte er, in dessen fähige Hände ich die Festung unbesorgt übergeben kann. Auch Gaston dürfte ein kluger, erfahrener Krieger sein, und beide kennen dieses Schloss in- und auswendig. »Swen, ich möchte diese Pläne gründlich studieren. Seht Euch mit Philippe und Gaston um und erstattet mir dann Bericht. Die Schäden müssen sofort behoben werden. Ich habe meinem Vater versprochen, möglichst bald heimzukehren.«
»Ja, mein Herr!« erwiderte Swen.
Auch Brenna schloss sich den Männern an, und Conar blieb allein mit den Plänen zurück. Wenig später hörte er leise Schritte auf der Treppe, die zur Halle herunterführten, hob den Kopf und sah Melisande auf sich zukommen.
»Ich störe dich nur ungern bei der genüsslichen Betrachtung deiner Beute.« Ihre hasserfüllten Augen straften den sanften Klang ihrer Stimme Lügen. »Aber … « Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: »Vater Matthew erkundigte sich, wann die Totenmesse stattfinden soll, und ich erklärte ihm, am besten in dieser Stunde. Also gehe ich jetzt in die Kapelle.«
Mühsam beherrscht, ballte er die Hände. Am liebsten hätte er seine Finger um diesen schönen, schlanken Hals gelegt. »Du wirst dann in die Kapelle gehen, wenn ich es befehle.«
»Es ist mein Vater, den wir bestatten.«
»Und es ist deine Pflicht, mir zu gehorchen.«
»Du hast kein Recht, meinem Vater ein christliches Begräbnis zu verwehren.«
»Das habe ich keineswegs vor … « Ärgerlich unterbrach er sich. Nun wollte sie ihn schon wieder in einen Streit verwickeln, so als wären sie beide Kinder. Das würde ihr nicht gelingen. Er stand auf und verneigte sich höflich. »Du möchtest deinen Vater jetzt begraben? Gut, dann soll es geschehen.« Als er zu ihr ging, wandte sie sich rasch ab, um zu fliehen, doch er packte sie bei den seidigen schwarzen Haaren und zerrte sie zurück. Ach werde dich begleiten, Melisande. Hast du trotz deiner Eile auch dem treuen Gefolge deines Vaters mitgeteilt, dass wir ihm nun die letzte Ehre erweisen werden?«
Wütend riss sie ihm ihr Haar aus der Hand. »Ragwald verständigt alle Leute innerhalb der Mauern, und er wird von der Brustwehr aus die Außenposten rufen.«
»Also, dann gehen wir.« Er umfasste ihren Ellbogen, und obwohl ihr die Berührung widerstrebte, wehrte sie sich nicht dagegen. Schweigend suchten sie den Nordturm auf. Die Kapelle füllte sich bereits. Philippe und Gaston standen neben dem aufgebahrten Grafen, der jetzt von einem weißen Tuch verhüllt wurde. Zu seinen Füßen kniete Ragwald, und Melisande schüttelte Conars Hand ab, um sich an der Seite ihres alten Lehrers niederzulassen.
Vater Matthew trat vor den Altar und sprach in bewegenden Worten über die Güte und, Großmut seines verstorbenen Herrn, über sein viel zu frühes gewaltsames Ende. Leises Schluchzen erfüllte den Raum. Sogar in den Augen hartgesottener Krieger schimmerten Tränen.
Auch Conar trauerte um den außergewöhnlichen Mann, der diese schöne Festung erbaut und ihn
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