03 - Der Herr der Wölfe
Franken hinter ihm und bekundeten ihre unwandelbare Loyalität gegenüber dem Mann, der Graf Manons Erbin geheiratet hatte. Sie geleiteten den Gast in die Halle und nahmen Platz.
Schon bald empfand Conar Bewunderung für Odo. Der zehn Jahre ältere Mann legte mehr Wert auf Taten als auf Worte, ein kluger Krieger mit dem nötigen Weitblick. Er war nicht so groß wie der Wikinger, doch der hatte den Körperbau des Vaters geerbt und überragte fast alle seine Geschlechtsgenossen. Aber mit seinen breiten Schultern, dem schwarzen Haar und den haselnussbraunen Augen sah der Graf sehr eindrucksvoll aus.
Sie sprachen über König Alfred, der sein englisches Reich so erfolgreich verteidigte, dass die Dänen nun anderswo nach leichterer Beute suchten. Dann schnitt Odo das Thema einer Friedenspolitik im eigenen Land an, und Conar antwortete, so ehrlich er es vermochte. »Vorerst weigere ich mich, einen Vertrag mit Geoffrey zu unterschreiben. Vielleicht ist er unschuldig und will tatsächlich Frieden mit mir schließen. Aber Vertrauen muss erst einmal verdient werden, Graf Odo. Sein Vater hinterging Manon, den Vater meiner Frau, und ermordete ihn. Doch wer weiß, nach einiger Zeit … «
Odo nickte und beugte sich vor. »Man könnte gewisse Arrangements treffen, dann könntet Ihr in Geoffreys Nachbarschaft ruhiger schlafen. « Nach einer kurzen Pause fuhr er fort, und Conar hörte interessiert zu. »Wenn Ihr mit Melisande nach Rouen reiten und Euer Ehegelübde vor einem Bischof bekräftigen würdet, wäre Euch die Anerkennung des Papstes sicher.«
»Das lässt sich regeln. Ich werde die nötigen Vorbereitungen treffen.«
»Ihr müsst mich einmal mit Eurer Frau besuchen. Dann sollten wir unsere Angelegenheiten noch einmal erörtern. Wir dürfen nicht zu lange warten.«
Conar stimmte zu, und nachdem sein Besucher davongeritten war, merkte er, dass gewisse Schlossbewohner das Gespräch in der Halle belauscht, haben mussten. Wenig später setzten sich Brenna, Philippe, Swen, Gaston und Ragwald zu ihm an den Tisch.
»Nun, Astrologe, was haltet Ihr von dem Mann?« erkundigte sich Conar.
Der alte Lehrer schaute Brenna an. Offensichtlich. hatte sich zwischen den beiden ein inniges Einvernehmen entwickelt, und sie konnten sich mit Blicken verständigen. »Nun, ich glaube, Odo wird bald der mächtigste Aristokrat in Frankreich sein«, antwortete Ragwald.
»Und was meinst du, Brenna? Kann man ihm trauen?«
Nur zögernd nickte sie. »Odo selbst kennt keine Tücke. Aber ich fürchte, in seinem eifrigen Streben, eine geschlossene fränkische Front zu schaffen, wird er vielleicht manchmal auf Menschen bauen, die es nicht verdienen. Andererseits hängt das Schicksal dieses Volkes von seiner Stärke ab. Gewiss ist er ein guter Verbündeten«
»Nun, dann werde ich Melisande hierherbeordern, so wie er es vorgeschlagen hat. « Conar verbarg sein Unbehagen. Endlich hatte er aufgehört, an sie zu denken, und sich auf seine Geschäfte konzentriert. Erst seit kurzem kannte er die faszinierende Witwe eines flämischen Barons, die in der Stadt westlich von der Festung wohnte. Gelegentlich verspürte er Gewissensbisse, wenn er seine neue Geliebte besuchte, aber er konnte endlich wieder ruhig schlafen. Und jetzt sollte dieses angenehme Leben wieder von seiner Frau mutwillig gestört werden?
Doch das ließ sich nicht umgehen. Zunächst hatte er beabsichtigt, seinem Vater zu schreiben und ihn zu bitten, Melisande nach Frankreich zu schicken. Doch dann beschloss er, sie abzuholen. Er schickte ihr eine Nachricht, um sie auf seine Ankunft vorzubereiten, erwähnte aber nicht, dass er sie nach Hause bringen wollte. Sollte sie ruhig noch eine Weile im Ungewissen bleiben. Während seiner Abwesenheit hatte sie sicher viel gelernt, aber Demut und Gehorsam zählten wohl kaum zu ihren neuerworbenen Tugenden. Sie war stolz wie eh und je, daran zweifelte er nicht, und viel zu sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht.
Zu seiner größten Bestürzung traf er sie nicht an, als er das Schloss von Dubhlain betrat. Auch sein Vater begrüßte ihn nicht, und das war sehr merkwürdig. Nichts war vorbereitet, obwohl Erin, eine leidenschaftliche Verfechterin der berühmten irischen Gastfreundschaft, alle Gäste, auch fremde Leute, reichhaltig bewirtete. Und wenn ein Sohn heimkehrte, hätte sie am liebsten den Mond vom Himmel heruntergeholt. Nun saß sie unglücklich in der Halle, ließ eine Mahlzeit vorbereiten und schaute Conar an, die smaragdgrünen Augen voller Sorge.
Weitere Kostenlose Bücher