03 - Der Herr der Wölfe
geglaubt, dass sie den alten Tyrannen so vermissen würde. Sie schrieb ihnen regelmäßig und erhielt auch Antwort. Doch die letzten Briefe konnten sie nicht erreichen, da sie - vor Conars Ankunft gewarnt - Darias gerade rechtzeitig erfolgte Einladung nach Wessex bereitwillig angenommen und vor der Abreise keine Zeit gefunden hatte, um den Lieben zu Hause ihre neue Anschrift mitzuteilen.
Obwohl Eric ihr sehr freundlich begegnete, fühlte sie sich in seiner Gegenwart etwas unwohl, weil er Conar so ähnlich sah, und sie ging ihm tunlichst aus dem Weg. Um so eifriger spielte sie mit seinen kleinen Kindern, Garth und Aleana.
Sie genoss auch Mergwins Gesellschaft. Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen so uralten Mann gekannt, und er faszinierte sie. Er bot einen phantastischen Anblick, hochgewachsen und knochendürr, in flatternden Roben, mit einer ungebärdigen silbernen Mähne und einem Bart, der bis zu den Knien hinabhing. Seine Augen, fast von der gleichen Farbe wie das Haar, schienen alles zu sehen - viel zuviel nach Melisandes Geschmack. Manchmal beobachtete er sie missbilligend, aber sie mochte ihn trotzdem. Wenn er sie auch hin und wieder ermahnte, so schilderte er doch sehr interessante Begebenheiten aus der irischen und englischen Geschichte, sprach über die Vergangenheit ihres eigenen Landes - und die Zukunft.
Er erinnerte sie an Ragwald, was ihr ein wenig über das quälende Heimweh hinweghalf. Eins störte sie allerdings an ihm - offenbar war er der einzige, der ihre freundschaftliche Beziehung zu Gregory in einem weniger unschuldigen Licht sah.
»Meine Dame«, sagte er nun in aller Entschiedenheit, »ich wiederhole - er ist da.«
Gregory runzelte die Stirn und schaute von der plötzlich erbleichten Melisande zu dem alten Mann auf. »Wer ist da?« fragte er lächelnd und zog die nackten Füße aus dem Wasser.
»Conar MacAuliffe«, erklärte sie, und Mergwin verneigte sich vor dem jungen Mann.
»Der Ehemann dieser Dame«, ergänzte er.
Verächtlich winkte sie ab. »Die Dame hat keinen Ehemann, nur einen grausamen Tyrannen.«
»Herrn Erics Bruder?« murmelte Gregory unbehaglich.
Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt. »Es gibt nichts zu befürchten.«
»Allerdings nicht«, bestätigte Mergwin ironisch und wandte sich wieder zu dem Jungen. »Die Dame scheint keinerlei Angst zu empfinden, oder?«
» Nicht die geringste«, stieß Melisande zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Und ich fürchte mich wirklich nicht, redete sie sich ein. Sie war nur bitter enttäuscht und wütend. Um sie möglichst schnell loszuwerden, hatte Conar sie gleich nach der Hochzeit übers Meer geschickt. Und jetzt, da sie endlich wieder Freude am Leben fand und ein bisschen Freiheit genoss, musste er plötzlich auftauchen. Nun, sie war kein Kind mehr. Er konnte sie nicht dauernd herumkommandieren, und diesmal würde sie ihn erst dann sehen, wenn es ihr beliebte.
»Vielleicht möchtet Ihr mich ins Haus begleiten, Melisande«, schlug Mergwin ärgerlich vor. »Mittlerweile haben die Schiffe sicher angelegt, und wenn Euer Gemahl feststellt, dass Ihr nicht zur Küste geeilt seid, um ihn zu begrüßen … «
»Ich eile nirgendwohin. «
»Vielleicht … «, begann Gregory voller Sorge.
»Nein!« fauchte sie. »Mergwin, geht ins Haus und heißt ihn willkommen, wenn das Euer Wunsch ist. Ich lasse ihn grüßen, und richtet ihm bitte aus, ich würde später kommen … « Plötzlich verstummte sie und fröstelte ein wenig, als ihr bewußt wurde, dass sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierhergereist war. Andererseits wäre sie nicht gewaltsam aus ihrer Heimat weggebracht worden, müsste ihr Mann nicht so weite Wege zurücklegen, um sie aufzusuchen.
»Gut ich werde Euch bei Conar entschuldigen«, entgegnete Mergwin, »und ihm sagen, Ihr würdet bald kommen. Sehr bald.«
»Das habe ich nicht vor … « Doch da ging er bereits davon. Er war mein Freund, dachte sie bitter, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.
Mergwin hatte dem Ard-Righ gedient, dann dessen Tochter und Schwiegersohn. Und natürlich konnte ein Sohn von Olaf und Erin gar nichts Böses tun … Sobald Conar auf der Bildfläche erschien, würde Mergwin nur noch auf ihn hören, und sie, Melisande, mochte sehen, wo sie blieb.
Seufzend schaute sie dem alten Mann nach. Vielleicht sollte sie ihm folgen . . -. Nein! Sie wollte Conar nicht früher sehen als unbedingt nötig, und sie würde sich nicht hinter der Robe des greisen Druiden verstecken.
Gregory
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