03 - Der Herr der Wölfe
grausam es gewesen war, sie von ihrer geliebten Heimat zu trennen, und möglicherweise hatte er die Grausamkeit niemals beabsichtigt, denn sie war von Olaf und Erin wie eine leibliche Tochter behandelt worden. Nichts hatte sie entbehren müssen und nur ihr Zuhause vermisst Ragwald, Philippe, Gaston, sogar Vater Matthew. Diese Menschen bildeten jetzt ihre Familie.
Sie blieb kurz stehen und wartete, bis sich ihre heftigen Herzschläge beruhigten, dann stieg sie weiter die Stufen hinab. Auch von Daria, Rhiannon, den Kindern, Bryce und Bryan musste sie sich verabschieden. Während sie sich der Halle näherte, hörte sie Erics und Conars Stimmen.
»Ich wünschte, ich könnte länger bleiben. Und ich würde es auch tun, wenn du meine Hilfe bräuchtest, Eric. Aber im Augenblick scheint hier Frieden zu herrschen. «
»Ja«, bestätigte Eric, »aber ich muss stets gerüstet sein. «
Sobald Melisande die zwei Brüder sah, hielt sie inne. Jeder einen Becher Ale in der Hand, saßen sie in den großen Sesseln vor dem Kaminfeuer, Söhne des Wolfs von Norwegen, die einander so sehr glichen -hochgewachsen und breitschultrig und blond, selbstbewusst und stolz und von starker, bezwingender Anziehungskraft.
»Bei uns zu Hause gibt es größere Schwierigkeiten«, erklärte Eric. »Vater kann in seiner ummauerten Stadt stets die Stellung halten, aber nach Großvaters Tod gelingt es Niall nicht, die Könige von niedrigerem Rang unter Kontrolle zu halten. Ich fürchte, es wird zu neuen Kämpfen kommen. Und wie wir hören, versammeln sich die Dänen wieder. Immer weiter werden sie in fremde Länder vordringen und zu Tausenden über das Herz der fränkischen Königreiche herfallen.«
»Meine Festung gleicht Dubhlain«, erwiderte Conar. »Hinter diesen festen Mauern können wir dem größten Heer trotzen.«
»Die meisten Kämpfe werden auf dem Land ringsum stattfinden«, warnte Eric. »Bedenk doch, wohin wir von unserem Haus Vestfold ausgezogen sind, in die russischen Länder, hinunter zum Mittelmeer, sogar ins Gebiet des Islams. Die Dänen werden Frankreich in wilden Horden angreifen, und jemand muss ihnen die Stirn bieten.«
»Ich glaube, die fränkischen Adelsherren unterschätzen ihre Feinde. « Conar beugte sich vor und schien in die Vergangenheit zu blicken. »Als Vater nach Irland kam, zog er sehr schnell seinen Nutzen aus den Pferden, die er erbeutet hatte. Die meisten Leute halten die Wikinger für Seefahrer, die die Küsten plündern. Jetzt befördern unsere Schiffe gutausgebildete Streitrösser. Es stimmt, die meisten Wikinger fühlen sich immer noch auf dem Meer heimisch. Aber mittlerweile gibt es viele, die auf dem Pferderücken kämpfen und alles einsetzen, was sie in den eroberten Gebieten lernen, um es gegen die Bewohner zu verwenden.«
»Wenigstens bist du vorbereitet, und deine Verbündeten werden gewiss die Augen offenhalten.«
»Vermutlich konnte ich Gerald nicht nur zuletzt deshalb besiegen, weil er nie erwartet hatte, ein Wikingerheer mit Pferden würde Manon über das Meer. zu Hilfe eilen. «
»Achte stets auf deine Rückendeckung, mein Bruder. Feinde habe n- lange Arme, die sich manchmal über Jahre hinweg erstrecken. Also sei auf der Hut und schlafe immer mit einem offenen Auge.«
»Nur die Bündnisse unter mächtigen Adelsherren können uns retten, denn der König in Paris ist schwach.«
»Vergiss nicht, dass wir immer für dich da sind, wenn du uns brauchst. Hoffentlich wird es deine Position stärken wenn du Melisande nach Hause bringst und mit ihr das Ehegelübde erneuerst. Da Graf Odo davon überzeugt ist, muss es wohl so sein. Gewiss ist er ein verlässlicher Verbündeter.«
»Das bin ich auch.« Melisande hörte die Leidenschaft, die in Conars tiefer Stimme mitschwang, doch den Sinn seiner Worte nahm sie nicht mehr wahr. Ihre Wangen brannten, und sie glaubte, jeden Augenblick müssten die Knie unter ihr nachgeben. Das war es also! Heißer Zorn stieg in ihr auf. Er war Graf Odo begegnet, und der hatte ihn gewarnt, er könnte sein Eigentum verlieren, wenn die anderen Aristokraten seine Ehe mit Graf Manons Erbin nicht anerkannten.
Deshalb musste Conar sie nach Hause holen. Das tat er keineswegs aus Herzensgüte, sondern weil er sie zwingen wollte, ihr Ehegelübde zu wiederholen. Und da die Ehe inzwischen vollzogen war, blieb ihr wohl kaum etwas anderes übrig, als zu gehorchen. Aber sie würde protestieren und ihm Schwierigkeiten machen, wo sie konnte. Sie holte tief Luft und umklammerte das
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