03 - Der Herr der Wölfe
bis zu Geralds hinterlistiger Attacke.
Melisandes Gesicht erhitzte sich, und sie kühlte es mit frischem Wasser. Dabei erinnerte sie sich an jenen anderen Bach, an dessen Ufer ihr Mann sie mit Gregory ertappt hatte. Und da plötzlich erkannte sie auch, den Grund ihrer inneren Unrast. Conar. Natürlich. Sie hatte geplant, mit ihm zu handeln, um sich ihre persönliche Freiheit irgendwie zu erkaufen. Vielleicht hatte sie von Anfang unbewusst gefürchtet, sie könnte allzu leicht in seinen Bann geraten - ihn begehren, heftige Eifersucht empfinden, andere Frauen auf den Meeresgrund wünschen - ihn heben …
Abrupt richtete sie sich auf. Nein, nur ein närrisches Milchmädchen wäre dumm genug, sich in einen solchen Mann zu verlieben. Trotzdem hatte sie in der letzten Nacht unter seiner Gefühlskälte gelitten. Was sollte sie tun? Sie wollte nicht, dass er von Brenna zu ihr kam - oder von irgendeiner anderen seiner zahlreichen Geliebten. Und wer konnte ihr helfen? Welche Macht besaß sie? Niemals würde sie ihm ihre Seele schenken, geschweige denn ihr Herz. Sonst wäre das Leben unerträglich.
Schon jetzt lag es leer und öde vor ihr. Sogar hier, wo sie so viele Menschen liebte und wiedergeliebt wurde. Weder in der ummauerten Stadt Dubhlain noch in Wessex hatte sie diese Leere gespürt, denn dort war sie von Glück und Fröhlichkeit umgeben worden. Und sie hatte jene besondere Liebe beobachtet, die nur zwischen Mann und Frau existieren konnte.
Aber sie wagte nicht, Conar zu lieben. Dagegen musste sie ankämpfen, um ihre Seele zu retten.
»Melisande!«
Eine seltsam vertraute Stimme rief ihren Namen. Sie schaute über den Bach hinweg, und ihr Blut drohte zu gefrieren. Geoffrey Sur-le-Mont. Geralds Sohn - älter und kräftiger, dem Vater noch ähnlicher, dunkelhaarig mit haselnussbraunen Augen. Und in diesen Augen lag ein erwartungsvolles, gieriges Glitzern.
Vorsichtig erhob sie sich, aber er beobachtete sie nur und traf keine Anstalten näher zu kommen. »Fürchte dich nicht!«
»Oh, ich fürchte mich keineswegs.« Sie stand im kühlen, seichten Wasser und wünschte plötzlich, sie trüge ihre Schuhe und Warrior wäre nicht auf der anderen Seite des Bachs festgebunden.
»Ich habe bereits von deiner Rückkehr erfahren«, erklärte Geoffrey und rührte sich noch immer nicht. Sein schmales Gesicht hätte sehr attraktiv gewirkt, wären da nicht das sonderbare Glitzern in den Augen und der schiefe Zug um die Lippen gewesen. Irgendetwas stimmte Melisande unbehaglich, so als würde er sie mit seinem unverwandten Blick ausziehen.
»Ja, wie du siehst, bin ich wieder da«, erwiderte sie.
»Du hast dich sehr verändert.«
»So?«
»Glaub mir Melisande, du bist die ungewöhnlichste Frau, die ich je gesehen habe.«
»Sicher nicht, Geoffrey.«
»Doch, das ist die reine Wahrheit.«
»Vielleicht kennst du nur wenige Frauen.«
Da trat er auf den ersten Stein, der aus dem Wasser ragte. »Ganz im Gegenteil. Was die Frauen betrifft, habe ich reichliche Erfahrungen gesammelt.«
Sie griff nach ihren Schuhen, ohne sich drum zu kümmern, ob sie naß wurden oder nicht. Nun musste sie jederzeit zur Flucht bereit sein.
»Warte!« bat er. »Ich möchte dir nichts tun und nur mit .dir reden.« Unschlüssig hielt sie inne, und nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Vor langer Zeit wurde unsere Heirat beschlossen.«
»Tut mir leid, Geoffrey, aber ich glaube dir kein Wort. Dein Vater lockte meinen in eine Falle, hinterging ihn skrupellos und ermordete ihn. Das weiß jeder.«
»Und dann wurde er von deinem Wikinger ermordet.«
»Er ist kein Wikinger«, hörte sie sich protestieren.
Lächelnd hob er die Brauen und kam noch einen Schritt näher. An einer solchen Ehe kannst du nicht glücklich sein. Der Vater deines Mannes stammt aus dem Hause Vestfold, und selbst wenn sie vorgeben, sie seien christianisiert und zivilisiert - im Grunde ihres Herzens sind und bleiben sie Wikinger, die sich den Meistbietenden als Söldner verkaufen. Conar bekämpfte meinen Vater, um dich zu gewinnen. Und seine Leute könnten sich jederzeit gegen ihn wenden. Sie sind unberechenbar wie tollwütige Hunde.«
»Hör auf, Geoffrey … «
»Schon immer habe ich dich gemocht, Melisande. Und es gab eine Zeit, als dein Vater dich mit mir vermählen wollte.«
»Das hätte die Kirche niemals. zugelassen.«
»Die Kirche gestattet, was die Mächtigen fördern.«
»Dein Vater war sich nicht sicher, ob er mich selbst behalten oder dir geben - oder mich einfach
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