03 - Der Herr der Wölfe
Ach weiß, dass du wach bist.« Sie öffnete die Augen. An diesem Abend wurde sie nicht von seinem Blick verspottet. Ernst und düster musterte er ihr Gesicht. »Warum wendest du dich von mir ab? Warum musst du mich pausenlos bekämpfen?«
»Ich bekämpfe dich nicht … «
»Doch. Ich verstehe es nicht, denn ich tue dir nichts zuleide. Wenn wir uns lieben, bist du ganz anders. Immer wieder erstaunt es mich, wie glühend du meine Leidenschaft erwiderst.«
Ihre Kehle wurde eng. »Ich bekämpfe dich, weil du alles genommen hast, was mir gehört.«
»Unsinn, ich habe nur genommen, was du allein nicht halten könntest.«
»Auch unter anderen Umständen hättest du von meinem Erbe Besitz ergriffen. Das liegt in deiner Art. Weil du ein Wikinger bist.«
»Nun, dann muss ich auch von dir wieder Besitz ergreifen, ob es dir gefällt oder nicht.«
In dieser Nacht wehrte sie sich, aber ohne Erfolg. Und letzten Endes musste er keine Gewalt anwenden. Er hielt sie nur fest, küsste und streichelte sie, bis ihre Hände aufhörten, sich gegen seine Brust zu stemmen und sie die Arme um seinen Hals schlang.
Bis er wieder einmal siegte!
***
Es war wundervoll, wieder zu Hause zu sein, täglich die eigene Muttersprache zu hören, zu beobachten, wie das Getreide auf den Feldern wuchs, lange Gespräche mit Ragwald und Marie, Philippe und Gaston und den anderen zu führen. Das alles genoss Melisande in vollen Zügen. Tagsüber fiel es ihr leicht, Conar aus dem Weg zu gehen.
Er beschäftigte sich ständig mit den Befestigungsanlagen, die teilweise erneuert werden mussten. Eine Mauer drohte sogar einzustürzen, wie er seiner Frau eines Abends erklärte. Temperamentvoll verteidigte sie das Werk ihres Vaters. Aber Conar erwiderte ungeduldig, an der Bauweise gäbe es nichts auszusetzen, nur der Zahn der Zeit habe gewisse Schäden angerichtet. Die würde man sofort nach der Rückkehr aus Rouen beheben.
Noch hatte er ihr nicht verraten, wann sie die Reise antreten würden. Im Grunde teilte er ihr kaum etwas mit. Wenn er das Bedürfnis empfand, mit einer Frau zu sprechen, suchte er Brenna auf.
Am vierten Abend nach der Heimkehr verließ Melisande die Halle schon sehr früh. Stunden verstrichen, und Conar kam noch immer nicht ins Schlafzimmer. Schließlich schlich sie ein paar Stufen hinab, um herauszufinden, was ihn so lange unten festhielt. Und dann wusste sie es. Brenna. Sie saßen vor dem Kamin und redeten. Goldenes Flammenlicht schimmerte auf den blonden Köpfen. Melisande erwog hinzugehen und mit honigsüßer Stimme um einen Becher Wein zu bitten. Doch sie besann sich anders und lief in ihr Zimmer zurück. Sie hasste alle beide.
Als Conar endlich erschien, stellte sie sich wieder schlafend. Er zog sich aus, schlüpfte zu ihr unter die Decke, und nach einer Weile sagte er kühl: »Wenn du meinen Gesprächen zuhören willst, solltest du dich bemerkbar machen. Du würdest sehr viel lernen.« Sie gab keine Antwort, und er fuhr fort: »Du brauchst uns nicht zu belauschen, Melisande.«
»Das wollte ich gar nicht. Ich hatte gehofft, die Halle wäre leer, und ich könnte ungestört am Feuer sitzen.«
»Und was dachtest du, wo ich wäre -, wenn du nicht erwartet hattest, mich in der Halle anzutreffen?«
»Woher soll ich, wissen, wo du dich wann herumtreibst?«
Zu ihrer Verwunderung drehte er sich wortlos auf die andere Seite. In dieser Nacht rührte er sie nicht an.
Am nächsten Morgen fühlte sie sich seltsam rastlos. Sie beschloss, allein zu einem Bach auszureiten, der nahe an den Schlossmauern vorbeifloss und sie an jene Idylle nicht weit von Erics Festung erinnerte, wo sie so angenehme Stunden verbracht hatte. Nur der junge Stallknecht wusste, dass sie auf Warriors Rücken saß.
Sie wollte nicht leichtsinnig handeln und nur versuchen, den sonderbaren Aufruhr in ihrem Innern zu ergründen und sich davon zu befreien. Als sie den Wasserrand erreichte, schwang sie sich aus dem Sattel und band den Hengst fest. Sie ließ ihn grasen und überquerte den
Bach, indem sie auf die herausragenden Steine hüpfte. Am anderen Ufer streifte sie die Schuhe ab, hielt ihre Zehen in die sanften Wellen und, fragte sich, was sie so beunruhigen mochte.
Vor vielen Jahren war sie mit ihrem Vater hier gewesen.
Die Gefahr eines Wikingerangriffs hatte stets bestanden. Aber sie kamen vom Meer her, und von der Festung aus konnte man die Schiffe rechtzeitig sehen. Von der Bedrohung an der eigenen Küste hatten Manon und seine Leute nichts geahnt -
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