03 - Feuer der Liebe
wollte die Dame mit dem Doppelkinn, dass ihr
Bruder mit den Hängebacken jemand ganz anderen heiratete, vielleicht die streng
aussehende Jungfer in dem olivfarbenen Kleid, die neben ihr saß.
»Woran denken Sie, Gabby?« Sophie
beugte sich zu ihr vor. »Sie scheinen sich viel besser zu amüsieren als wir.«
»Ich habe mir eine Geschichte
ausgedacht«, gab Gabby zu. »Da ich in London fast niemanden kenne, erfinde ich
Geschichten über Fremde.«
Sophie lachte. »Oh, Sie sind eine
Geschichtenerzählerin! Wie wunderbar. Bitte, erzählen Sie uns die Geschichte
und wir können sie anschließend mit der Wahrheit vergleichen. Was für ein
großartiges Spiel.«
Gabby zögerte, aber Peter und Lucien
lächelten ihr aufmunternd zu. Nur Quill warf ihr einen strengen Blick zu.
Schließlich erzählte sie die Geschichte, die sie über die Personen am Nachbartisch
gesponnen hatte.
Sophies klares Lachen schallte durch
den Raum und beinah jeder drehte sich neugierig zu ihnen um. Die Herzogin von
Gisle schien Peter Dewlands zukünftige Frau sehr amüsant zu finden.
Unglücklicherweise erweckte ihr Gelächter auch das Interesse des silberblau
berockten Mannes mit den Hängebacken.
Sophie hatte seinem Tisch jedoch den
Rücken zugekehrt und bemerkte gar nicht, dass alle Augen auf sie gerichtet
waren. Ahnungslos fuhr sie fort: »Sie sind der Wahrheit sehr nah gekommen.
Aber der Herr und die Dame sind verheiratet. Die Spannung, die Sie spürten
...«
Ihr Mann legte ihr die Hand auf den
Mund. »Du bist unmöglich, mein liebes Weib«, hauchte Patrick in Sophies Ohr.
Dann entfernte er seine Hand und ersetzte sie durch einen kurzen, ungestümen
Kuss.
Sophie blickte Gabby schelmisch an.
»Sehen Sie, Gabby Darling, die Männer leben nur dafür, unsere Torheiten zu
korrigieren.«
Gabby lachte.
Aber Lachen — nun, Madame Carême
hatte vergessen, Lachen ebenfalls auf die Liste der verbotenen Dinge zu setzen.
Vielleicht war Madame der Meinung, dass in den höheren Kreisen nicht gelacht
wurde.
Nun, es spielte keine Rolle, was der
Grund für Madames Versäumnis war. Alle Augenpaare im Raum sahen fasziniert zu,
wie Gabbys zartes Oberteil den letzten Rest von Schicklichkeit aufgab und über
den Busen, den es eigentlich verhüllen sollte, nach unten rutschte. Gabby stieß
einen leisen Schrei aus und zog vergeblich an dem kleinen Stück Seide.
Peter schloss entsetzt die Augen.
Emily erstarrte, und Sophie beugte sich instinktiv nach vorn, um Gabby
abzuschirmen. Patrick und Quill reagierten gleichzeitig und streiften sich
hastig die Jacke von den Schultern. Quill erreichte Gabby als Erster. Ein
Gefühl der Geborgenheit erfasste sie, als seine große Gestalt neben ihr
aufragte und der weiche, schwarze Stoff die Vorderseite ihres schändlichen
Kleides vor den Blicken der anderen verbarg.
Gabby umklammerte Quills Jacke und
blickte auf. Als sie Peters entsetztem Blick begegnete, stiegen ihr Tränen in
die Augen.
»Mrs Jerningham ist erschöpft«,
sagte Quill schroff. Dann hob er sie ohne zu zögern hoch und trug sie hinaus.
Einen Augenblick später waren sie verschwunden.
Sophies Gatte, Patrick, brach in
lautes Gelächter aus. »Ich vermute, Quills Bein geht es schon viel
besser. So etwas Romantisches habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Daran ist nichts Romantisches«,
erwiderte Peter schnippisch. Aber er schuldete seinem Bruder ein Dankeschön.
Das Beste für Gabby war, sofort nach Hause zu fahren und zu warten, bis das
Gerede langsam verstummte. Nicht dass dies so bald geschehen würde, da machte
er sich keine Hoffnungen.
Im Gegenteil, diesen Abend würde die
feine Gesellschaft so schnell nicht vergessen.
Einen Moment später erhob sich
Sophie Foakes, die Herzogin von Gisle, von ihrem Stuhl. Doch als sie dies tat,
schien sich der Saum ihres Kleides in ihrem Schuh zu verheddern, oder vielleicht
hatte sie ihre Hand auch unglücklich platziert.
Egal, aus welchem Grund: Die
Anwesenden auf Lady Festers Ball kamen erneut in den Genuss, mit anzusehen, wie
das Oberteil einer Dame nach unten rutschte — und das nur fünf Minuten nach
dem ersten Vorfall!
Sophies Gatte hatte bereits zuvor
seine Jacke ausgezogen, und so war er schnell in der Lage, sie ihr um die
Schultern zu legen. »Mein Gott, Sophie, man kann es mit der Loyalität auch übertreiben!«,
rief er lachend und für alle klar verständlich. Einige Beobachter fanden diese
Bemerkung äußerst unpassend.
Am nächsten Morgen war man sich in
den meisten Salons einig, dass die
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