03 Göttlich verliebt
Dunkelheit abnahm und Orions Gesicht enthüllte, war Lucas nicht überrascht. Er hatte bereits geahnt, welche Verbindung zwischen den beiden bestand.
Was Lucas jedoch nicht erwartet hatte, war die Tatsache, dass Hades in dieselben Schatten gehüllt war, wie auch er sie hervorbringen konnte. Während Lucas ihn noch anstarrte, klemmte sich Hades den Helm, der ihn unsichtbar machte, unter den Arm. Ich kann mich ebenfalls unsichtbar machen, dachte Lucas.
In seinem Kopf fügte sich plötzlich alles zusammen. Es war eine solche Ironie, dass er am liebsten losgeschrien hätte.
»Hallo, Sohn«, sagte Hades freundlich und bestätigte damit seinen Verdacht.
»Wie?«, fragte Lucas, obwohl er nicht sicher war, ob er es wirklich wissen wollte. »Hat meine Mutter …?«
»Nein«, unterbrach ihn Hades entschieden. »Ich hatte vor vielen Hundert Jahren ein Kind mit einer Frau aus dem Haus von Theben.« Er verstummte kurz, und ein Ausdruck des Bedauerns huschte über sein Gesicht, obwohl es schon so lange her war. »Das Blut eines Gottes verwässert nicht – wir sind unsterblich, und dasselbe gilt für unsere … Nun, unsere Gene könnte man wohl sagen. Du bist mein Sohn und der von Apoll, aber ich erkenne in dir mehr von mir selbst als von ihm.«
»Kannst du dich warm denken?«
»Nein. Diese Begabung hast du von Apoll. Du erträgst jede Hitze, außer der von Helen. Sie kann heißer sein als die Sonne.«
»Ist mir aufgefallen«, bemerkte Lucas und schmunzelte verlegen.
»Aber den Großteil deiner Fähigkeiten hast du von mir. Ich nehme an, dass du das alles ziemlich verwirrend findest.«
»Ganz und gar nicht«, beteuerte Lucas. »Es erleichtert die Sache sogar. Als sollte es so sein.«
»Geh heim, Sohn«, sagte Hades freundlich. »Deine Abwesenheit macht eine ohnehin schon angespannte Lage noch schlimmer.«
»Wie kann jemand wissen, dass ich fort bin?«, fragte Lucas verständnislos. »Ich dachte, in der Unterwelt steht die Zeit still.«
»Das tut sie, außer wenn du mit Morpheus oder mit mir zusammen bist. Dann vergeht die Zeit genauso wie auf der Erde.«
Lucas dachte kurz darüber nach und nickte. »Stimmt – andernfalls wärt ihr beide in einem Moment der Ewigkeit gefangen und niemand könnte euch je finden.«
»Sehr gut«, lobte Hades. »Darauf ist nicht einmal Helen gekommen, und das, obwohl sie so klug ist.« Er lächelte Lucas wohlwollend an, bevor er fortfuhr. »Ich weiß, dass du um deinen Cousin trauerst, aber ich erlaube nicht, dass sich Menschen im Tausch für geliebte Verstorbene anbieten. Wenn ich darauf einginge, würde ich denen zu viel Schuld aufladen, die lieber weiterleben, statt sich für die Toten zu opfern. Das würde mehr Menschen schaden als nutzen.«
Er klang sogar wie Orion, allerdings war seine Ausdrucksweise etwas formeller. Aber sie hatten beide eine so mitfühlende Art, die Lucas nur respektieren konnte.
»Das klingt vernünftig«, musste Lucas einräumen. »Und ich denke, dass du damit vollkommen recht hast. Aber ich bin nicht gekommen, um mein Leben gegen das von Hector zu tauschen. Ich bin gekommen, um mein Leben für deines anzubieten.«
»Für meines?«, wiederholte Hades, der zum ersten Mal seit einem geschätzten Jahrtausend wirklich verblüfft war.
»Ich weiß, dass du die Herrschaft über das Totenreich nicht freiwillig übernommen hast. Sie wurde dir aufgezwungen. Ich weiß genau, wie sich so etwas anfühlt. Ich glaube, dass die Parzen mich zwingen wollen, die Rolle von Poseidon zu übernehmen. Aber ich lehne dieses Schicksal aus meinem eigenen freien Willen ab – zugunsten einer anderen Aufgabe.«
Lucas überschritt die Grenze und betrat das Land von Hades. Ihm war klar, dass er es vermutlich nie wieder verlassen würde, sofern seine Mission erfolgreich war.
»Erwecke Hector zum Leben, dann übernehme ich deinen Platz in der Unterwelt bis in alle Ewigkeit.«
Helen starrte Lucas hinterher und konnte ihn in seiner dunklen Schattenwolke problemlos sehen. Sie hätte ihm zwar folgen können, aber dann hätte sie alle anderen schutzlos zurücklassen müssen. Orion und Jason waren zwar gute Kämpfer, Daphne konnte echt fies sein, und über Castors Fähigkeiten wollte sie gar nicht erst irgendwelche Vermutungen anstellen, aber auf der Seite der Götter standen zwanzig Mal mehr Krieger als auf ihrer. Fast das gesamte Haus von Rom und die Hälfte des Hauses von Athen waren auf ihrer Seite, aber das reichte nicht aus, um sowohl die Hundert Cousins als auch die Myrmidonen
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