03 Göttlich verliebt
waren in ihrer Vorstellung jetzt alle Daphne, und sie hatte auf einmal das gruselige Gefühl, dass ihr ganzes Leben ferngesteuert worden war. Sie warf Orion einen Blick zu und musste feststellen, dass er genauso geschockt war wie sie.
Doch trotz allem erkannte Helen, dass Daphne gar nicht so falschgelegen hatte. Orion war der einzige Freund, mit dem sich Helen eine Beziehung hätte vorstellen können – von Lucas natürlich abgesehen. Und sie wusste, dass Orion alles für sie tun würde, zumindest, sofern es ihm möglich war – sogar den toten »Vater« wieder auferstehen lassen, den sie nie kennengelernt hatte.
So verrückt der Plan ihrer Mutter auch war, er hätte tatsächlich funktionieren können. Aber er hatte nicht funktioniert und stattdessen nur gebrochene Herzen hinterlassen.
»Du bist geisteskrank«, flüsterte Helen.
»Nein. Nur bereit, alles für den Mann zu tun, den ich liebe.«
Helen sah Andy, Noel und Cassandra bei Daphnes Geständnis unbehaglich zusammenzucken.
»Dann haben wir also etwas gemeinsam«, bemerkte Helen trocken und stand von der Bank auf.
Sie sah zu Orion hinüber. Lucas hatte sich selbst eingetauscht, aber es war kein fairer Tausch, weil er hereingelegt worden war. Zu wem konnte sie gehen, um diesen Handel anzufechten? Gab es in der Unterwelt überhaupt jemanden, der ihr zuhören würde? Helen hatte eine Idee und hoffte nur, dass sie sich auch in die Tat umsetzen ließ.
»Bleib dicht bei Cassandra«, bat sie Orion. »Auch wenn die Parzen mich in der Unterwelt sehen können, sind sie doch nicht in der Lage, durch sie zu sprechen, und dann kann ich diese Sache vielleicht durchziehen.«
Er nickte einmal zum Zeichen, das er verstanden hatte.
»Sag Lucas, dass er mir Ajax zurückgeben soll. Bitte, Helen, ich flehe dich an!«, schluchzte Daphne und packte Helen am Arm. Ihre Pläne waren fehlgeschlagen, aber sie versuchte trotzdem noch, Ajax zurückzubekommen. Helen fragte sich, ob sie nicht genauso reagieren würde, wenn es um Lucas ging. Sie hoffte nicht, aber irgendwie bezweifelte sie es.
Helen riss sich von ihrer Mutter los und verschwand in einem Windstoß, der so kalt war, dass er einen vereisten Fleck auf Noels Küchenfußboden hinterließ.
Die Eiskruste hatte kaum zu tauen begonnen, als Daphne zur Küchentür stürzte.
»Wo willst du hin?«, fragte Orion streng und versperrte ihr den Weg.
»Herausfinden, was im anderen Lager vor sich geht, und versuchen, Helen genügend Zeit zu verschaffen, damit sie Lucas zurückholen kann.« Sie wich ihm geschickt aus und rannte nach draußen in Richtung Strand, ohne dass jemand sie aufhielt.
Als sie sich der Front näherte, veränderte sie ihr Aussehen. Ihr fiel wieder ein, dass Tantalus auch Myrmidonen auf seiner Seite hatte und änderte deshalb auch ihren Geruch.
Sie lief auf eine kleine Anhöhe, von der aus sie einen guten Überblick hatte. Es waren viel zu viele Leute am Strand – etliche Hundert Männer und Frauen. Daphne schaute genauer hin und stellte fest, dass die Armeen nicht mehr nur aus Scions bestanden. Ganz normale Leute strömten aus der Stadt herbei oder kamen mit Booten an, um sich auf die Seite der Götter zu stellen.
Einige Krieger schwärmten bereits aus und umstellten die Flanken von Orions Truppen. Auf dem Wasser entdeckte Daphne immer mehr Boote, die auf den Strand zuhielten – Jachten, Fischerboote und sogar kleine Ruderboote, deren Besatzungen sich Tantalus bei seinem Kampf für den Olymp anschließen wollten. Natürlich waren die meisten neuen Rekruten Normalsterbliche und eine Handvoll Scions konnte Unzählige von ihnen niederstrecken. Die Verluste würden immens sein. Wie kamen die Normalsterblichen überhaupt auf die Idee, in diesem Krieg mitzumischen? Das ergab keinen Sinn.
Daphne näherte sich den feindlichen Linien und bemerkte, dass sich die Normalsterblichen irgendwie steif und unnatürlich bewegten, wie Marionetten. Als sie ihnen noch näher kam, sah sie ihre ausdruckslosen Gesichter. Daphne war angewidert. Es kam ihr vor, als wären all diese Leute Zombies.
Oder hypnotisiert.
»Hypnos«, murmelte Daphne. Hypnos, der Gott, der Menschen in einen tranceähnlichen Zustand versetzen konnte, in dem sie leicht zu kontrollieren waren, stand offensichtlich auf der Seite der Olympier.
Es wunderte sie gar nicht, dass die Olympier kleine Götter wie Hypnos dazu brachten, ihnen zu helfen. Die kleinen Götter konnten die Sterblichen zwar weder bekämpfen noch töten, aber sie konnten zumindest
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