03 Göttlich verliebt
Küchentisch. Sie hatten ihm die Rüstung und den Großteil seiner Kleidung abgenommen. Rund um ihn herum standen Schalen mit blutigem Wasser und neben ihm lag ein rot verfärbter Schwamm. Jason hatte bereits damit angefangen, seinen Bruder für die Feuerbestattung herzurichten. Aber Hector war nicht tot. Nicht mehr.
Er war blass und schwach wegen des Blutverlustes. Seine Lippen waren blau und seine Hände zitterten ganz furchtbar, als er nach Jasons Schulter griff. Bevor er etwas sagen konnte, musste er die Goldmünze ausspucken, die er im Mund hatte. Es war der Obolus, den ihm sein Vater als Bezahlung für den Fährmann unter die Zunge gelegt hatte. Hector starrte die glänzende Münze in seiner Hand einen Moment lang an und konnte den Blick nicht von der Scion-Version eines Grabsteins abwenden.
»Gibt für alles ein erstes Mal«, murmelte er und gab Andy den Obolus. »Für später«, keuchte er matt.
»Viel, viel später. Mach das nicht noch einmal«, schimpfte sie, doch ihr verweintes Gesicht strahlte vor Freude.
»Abgemacht.«
Hectors ganzer Körper zitterte, als er versuchte, sich aufzusetzen.
»Er braucht Blut«, stellte Jason besorgt fest. Er stützte seinen Bruder und half ihm, sich wieder hinzulegen. Dann hob Jason die Hände und sie begannen zu glühen. Er hielt sie über Hector, um ihn zu heilen, aber Hector hielt ihn auf.
»Warte, Jason«, sagte Hector, dessen Stimme kaum mehr als ein Flüstern war. »Schick mich noch nicht ins Land der Träume. Wo ist Helen?«
»Hier«, sagte Helen und trat hinter Noel hervor, damit Hector sie sehen konnte. »Was ist los?«
»Geh in die Unterwelt. Sofort. Versuch, es Hades auszureden«, sagte er, und seine schwache Stimme nahm einen eindringlichen Ton an.
»Ihm was auszureden?«, fragte Helen.
»Den Handel. Lass nicht zu, dass Lucas für mich dort unten bleibt«, verlangte er und packte Helens Arm und schüttelte ihn, als müsste er sie wachrütteln. »Lucas hat sich selbst eingetauscht.«
»Unmöglich!«, kreischte Daphne und erschreckte alle mit der Heftigkeit ihres Ausbruchs. »Hades lässt nicht zu, dass sich jemand für einen anderen opfert. Ich habe es ein Dutzend Mal versucht.«
»Lucas hat sich nicht gegen mich eingetauscht«, keuchte Hector, der bereits die Augen verdrehte, weil es ihn seine ganze Kraft kostete, bei Bewusstsein zu bleiben.
»Ganz ruhig«, sagte Noel und legte Hector eine Hand auf die Schulter. »Jason, lass ihn einschlafen, bevor er sich noch einmal umbringt.«
»Er hat sich gegen Hades eingetauscht«, stieß Hector hervor, ohne auf Noel zu achten. Er zog an Helens Arm, bis ihr Gesicht nur noch Zentimeter über seinem war. »Lucas ist jetzt der neue Herrscher über das Totenreich.«
15
H elen hörte zwar, dass ihre Mutter mehrmals dasselbe sagte, aber ihre Worte drangen nicht bis zu ihr durch.
»Es sollte doch Orion sein«, murmelte Daphne vor sich hin. Als sie Helen schließlich ansah, machte sie einen ziemlich verwirrten Eindruck. »Ich meine – Orion ist Hades. Sie sehen genau gleich aus. Orion ist außer dir der Einzige, der in die Unterwelt gehen kann. Er kann Erdbeben auslösen und ›die Städte der Sterblichen dem Erdboden gleichmachen‹, und deshalb dachte ich, er wäre der Tyrann – das dachten wir alle. Wir waren davon überzeugt, dass der Tyrann Hades ablösen sollte. Alle Hinweise waren da. Es sollte von Anfang an Orion sein.«
Orion tauchte mit Cassandra an der Küchentür auf, als hätte Daphnes häufige Wiederholung seines Namens ihn gerufen.
»Castor«, sagte Orion und kam eilig herein. »Die Götter verlangen, dass wir Lucas vorzeigen, sonst lässt Tantalus seine Armee angreifen. Und die Myrmidonen wollen Helen töten, auch ohne ihren Anführer Matt. Ich weiß, dass du trauerst – das tun wir alle –, aber ich brauche dich an vorderster Front.«
»Er lebt!«, schrie Cassandra, bevor ihr Vater etwas sagen konnte, und stürzte zu Hector.
»Bleib zurück, Cassie«, sagte Jason warnend, dessen Hände bläulich glühten. »Lass mich meine Arbeit machen.«
»Wie ist das möglich?«, fragte Orion und starrte auf Hectors Brust, die sich bei jedem Atemzug hob und senkte. »Sein Herz ist in zwei Teile zerschlagen worden. Er war tot.«
»Ein Handel«, antwortete Noel. Sie war so hin- und hergerissen zwischen der Freude, dass Hector lebte, und der Verzweiflung darüber, was Lucas dafür getan hatte, dass sie nicht weitersprechen konnte.
»Lucas hat sich bereit erklärt, in der Unterwelt den Platz von
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