03 Göttlich verliebt
Hades einzunehmen, wenn er dafür Hector auferstehen lässt«, erklärte Andy an ihrer Stelle.
»Wieso macht er so was?«, fragte Cassandra flehentlich. »Denkt er etwa, dass wir ihn weniger lieben als Hector?«
Orion sah Helen betroffen an. »Er hat es getan, weil er glaubt, dass wir zusammen sind. Lucas denkt, dass wir …«
»Ich weiß«, wisperte Helen und suchte fieberhaft nach einem Ausweg. »Ich muss in die Unterwelt und ihm sagen, dass es nicht wahr ist.«
»Helen, es tut mir so leid«, beteuerte Daphne entsetzt. »Das musst du mir glauben. Wenn ich gewusst hätte, dass es Lucas sein würde, hätte ich euch beide in Ruhe gelassen. Das musst du Lucas erklären – er muss wissen, dass ich nichts gegen ihn habe. Bitte, sag ihm das.«
»Wovon redest du?«, fragte Helen, die Böses ahnte. »Mutter, was hast du getan?«
»Deswegen habe ich euch angelogen«, stieß sie ruhig, aber hastig hervor, als wollte sie es möglichst schnell hinter sich bringen. »Wenn Orion der neue Herrscher über das Totenreich wäre, würde er sicher nicht zögern, den Vater seiner großen Liebe wieder zum Leben zu erwecken.«
»Was?«, fragte Helen verdutzt.
»Ich bin nun schon ein Dutzend Mal fast gestorben. Jedes Mal bin ich zum Styx hinabgestiegen und habe Hades angefleht, aber er hat mich nie erhört. Meine einzige Hoffnung war die Prophezeiung, dass ihn ein Scion ersetzen würde«, erklärte sie mit verzweifelter Miene. »Wer außer Orion hätte es denn sein können? Orion ist Hades’ Zwilling!« Sie sah jeden im Raum flehend an.
»Und wenn ich die Unterwelt übernommen hätte?«, fragte Orion, der diese Vorstellung entsetzlich fand.
»Dann müsstest du immer noch zustimmen, mir das zu geben, was ich will, und obwohl wir uns gut verstehen, wäre das keine Garantie. Also habe ich mich gefragt, was mich dazu bringen würde, etwas für einen anderen zu tun. Nun, Liebe natürlich. Wenn du dich also in ein Mädchen verliebt hättest, das glaubt, seinen Vater verloren zu haben, würdest du ihn doch sicher ins Leben zurückschicken, nicht wahr?«
Helen lief ein eiskalter Schauer über den Rücken.
»Es war nicht geplant, dass sie sich in Lucas verliebt«, fuhr Daphne fort und zeigte anklagend mit dem Finger auf Helen. »Du solltest Orion zuerst begegnen und dich in ihn verlieben. Das wäre perfekt gewesen. Du hättest Orion gehabt und ich Ajax und niemand wäre verletzt worden. Ich habe versucht, dich von Lucas fernzuhalten und wollte dich sofort von der Insel wegbringen, als ich gemerkt habe, welche Verbindung zwischen euch besteht.«
Daran erinnerte sich Helen nur zu gut. Nachdem die Familie Delos nach Nantucket gezogen war, hatte ihre Mutter, als alte Frau getarnt, mehrfach versucht, sie zu entführen, um sie von der Familie fernzuhalten. Daphne hatte ihr eingeredet, dass es nur zu ihrem Schutz wäre und die Delos sie töten würden, doch Daphne hatte natürlich gewusst, dass Helen den Cestus trug und unverwundbar war. Sie wusste ebenfalls, dass Helen stärker war als sie alle zusammen und deswegen nicht gerettet werden musste. In Wirklichkeit war es Daphne nur darum gegangen, Helen von Lucas fernzuhalten.
»Ich wollte, dass du als Ersten Orion kennenlernst. Ich dachte, ich hätte noch Zeit – immerhin warst du noch keine siebzehn, und der einzige Junge, den du bis dahin geküsst hattest, war Matt. Ich dachte, ich hätte noch Zeit«, wiederholte sie, als würde sie diese Fehleinschätzung am meisten bedauern.
Helen sank mehr oder weniger freiwillig auf die Bank, die vom Küchentisch weggeschoben worden war, und starrte auf den Boden.
»Wie lange hast du mich beobachtet?«, fragte sie wie vor den Kopf geschlagen.
»Dein ganzes Leben. Natürlich immer mit einem anderen Gesicht, aber ich habe dich nie lange alleingelassen, Helen«, sagte Daphne, die vor ihrer Tochter auf die Knie sank und ihre Hände ergriff. »Mal war ich eine Touristin, die darum gebeten hat, ein Foto von dir machen zu dürfen, ein anderes Mal die Kundin im News Store, die mit dir geplaudert und dich nach deinem Tag in der Schule gefragt hat. Einmal war ich auch die Austauschschülerin, die einen Monat lang da war. Erinnerst du dich noch an Ingrid? Die alle Klatschgeschichten aufgesaugt hat und dann einfach so verschwunden ist? Das war immer ich. Ich habe dich niemals längere Zeit aus den Augen gelassen.«
Vor Helens innerem Auge tauchten unzählige Gesichter auf. Dutzende Menschen, die sie im Laufe der Jahre in ein Gespräch verwickelt hatten,
Weitere Kostenlose Bücher