03 Göttlich verliebt
beenden, doch Lucas hatte seinem Vater nicht die Schuld zuschieben wollen. Er hatte behauptet, es wäre seine eigene Entscheidung gewesen.
Sie liebte ihn nur umso mehr wegen dieses Verantwortungsbewusstseins. Und das bestärkte sie noch darin, das Schlimmste über ihn zu sagen – ob sie es selbst nun glaubte oder nicht. Sie hoffte nur, dass ihre Vermutung über das, was Persephone an Halloween gesagt hatte, richtig war.
»Er ist intelligent, loyal und hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Er hat alles, was Hades auch hat. Aber die wichtigste Eigenschaft fehlt ihm«, verkündete Helen so laut, dass es jeder hören konnte. »Orion und ich waren es, die die Prüfung durch die Furien bestanden haben. Unser Mitgefühl hat sie befreit und die Toten befanden uns für würdig. Lucas hat so einen Test nie bestanden.«
Helen zögerte und holte tief Luft, denn was sie jetzt sagen würde, tat Lucas sicher sehr weh und würde vermutlich auch dazu führen, dass er sie von nun an mit anderen Augen sah. Aber da alles andere nicht funktioniert hatte, blieb ihr keine andere Wahl.
»Lucas ist nicht fähig, über das Totenreich zu herrschen, weil er bisher keinen Beweis erbracht hat, ob er zu Mitgefühl fähig ist«, sagte Helen laut.
Lucas’ Kopf fuhr herum und er starrte Helen verblüfft an. Sie schaute ihn nicht an, obwohl sie seinen Blick auf sich spürte. Die Eumeniden zogen sich erneut zur Beratung zurück.
»Er hat sich im Tausch für seinen Cousin angeboten«, versuchte die Anführerin der Eumeniden, Helens Argument zu entkräften. »Das erfordert Mitgefühl.«
»Das war Schuldgefühl«, widersprach Helen und drehte sich absichtlich so zu Hades, damit er erkennen konnte, dass sie die Wahrheit sprach. »Als Hector starb, habe ich Schuld, Trauer und Resignation in Lucas’ Herz gesehen. Das waren die Emotionen, die ihn zu diesem Handel veranlasst haben. Nicht Mitgefühl. Aber wenn Mitgefühl die Eigenschaft ist, welche die Toten am höchsten bewerten, dann ist Lucas nicht dafür geeignet, über dieses Reich zu herrschen.«
Die Toten mussten sich erst wieder beratschlagen, und das Rascheln und Knirschen ihrer Stimmen erinnerte Helen an das Geräusch des Windes, der über hohes Sumpfgras weht. Helen konnte es nicht ertragen, Lucas anzusehen. Sie hoffte nur, dass er ihr eines Tages vergeben konnte. Sie sah stattdessen zu Hades hinüber, der sie mit einem Lächeln betrachtete. Sie wollte ihm sagen, wie leid es ihr tat, sich so gegen ihn zu stellen, aber sie wusste, dass es nicht nötig war. Er sah ihr Bedauern in ihrem Herzen.
Die Anführerin der Eumeniden hielt den Kopf schief und lauschte der Entscheidung, welche die Toten getroffen hatten.
»Der Bewerber wird für unwürdig befunden«, sagte sie, und Helen wurde vor Erleichterung beinahe ohnmächtig. Doch die Eumeniden waren noch nicht fertig. »Aber dennoch muss er seinem Eid Folge leisten.«
»Was bedeutet das?«, fragte Helen die Geister in der Luft, obwohl sie ihre Wispersprache nicht verstehen konnte.
»Es bedeutet, dass die Hand der Dunkelheit Hades eines Tages ablösen muss«, antwortete die kleinste der Eumeniden. »Er kann nicht herrschen, solange er für unwürdig befunden wurde, aber eines Tages muss er sich dem Urteil der Toten stellen, und wenn es darin besteht, den Platz von Hades einnehmen.«
Helen war sprachlos. Sie zermarterte sich das Gehirn nach einem Grund für einen Widerspruch, nach etwas, das Lucas’ Eid für nichtig erklärte, aber ihr fiel nichts ein.
»Helen«, flüsterte Lucas ihr ins Ohr. »Lass es gut sein. Es ist in Ordnung.«
»Nein, ist es nicht!«, zischte Helen zurück. »Es bedeutet, dass du jederzeit hierherbeordert werden kannst. Wir wissen nicht, wann oder wie, aber eines Tages werden die Toten dich rufen, und dann musst du in den Hades.«
Lucas schmunzelte und schüttelte den Kopf. »So ist das Leben, Helen. Das steht jedem bevor. Es bedeutet nur, dass ich jeden Tag so leben muss, als wäre es mein letzter. Das kann ich gerne tun.« Er sah hinüber zu Hades und aus seinen Augen strahlte jetzt wieder dieses innere Licht, das Helen schon seit Wochen nicht mehr gesehen hatte. »Vielen Dank.«
»Du musst gehen. Jetzt«, antwortete Hades ernst. »Ihr beide werdet auf der Erde gebraucht. Und Helen? Lass Zeus nicht siegen. Was immer du tun musst, um ihn aufzuhalten – tu es.«
Helen seufzte und nickte, weil sie wusste, was Hades meinte, doch sie war nicht sicher, ob ihre Kraft dafür ausreichte, nachdem sie gerade
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