03 Göttlich verliebt
auffiel. »Was haben wir denn da für ein seltenes Fischlein?«
Helen sah, wie Andy erstarrte und schließlich stehen blieb.
»Ich bin zur Hälfte Sirene«, sagte sie und sah Daphne herausfordernd an. »Haben Sie damit ein Problem?«
»Nein«, antwortete Daphne. Sie hielt Andys Starren ungerührt stand. »Aber anscheinend du, und es wird Zeit, dass du darüber hinwegkommst.«
Daphne rauschte an Andy vorbei. Helen folgte ihr zögernd und bedachte Andy im Vorbeigehen mit einem entschuldigenden Blick.
»Hector ist nicht Apoll«, fügte Daphne hinzu, als sie die Treppe erreichten. »Es wird Zeit, dass du auch darüber hinwegkommst.«
»Sie haben kein Recht …«, begann Andy hitzig.
»Hector ist einer der besten Männer, die ich jemals kennengelernt habe, kleine Halb-Sirene, die sich selbst hasst«, unterbrach Daphne sie. Helen sah, wie Daphnes Blick so hart wurde, dass ihre Augen funkelten wie Diamanten. »Du verdienst ihn gar nicht.«
Helen hauchte Andy ein »Tut mir leid« zu, als sie die Treppe hinuntergingen, aber Andy hatte schon kehrtgemacht und war weggelaufen, bevor Helen es ausgesprochen hatte.
Immer noch mit den Gedanken bei Andy, folgte Helen ihrer Mutter in die angespannte Atmosphäre des Wohnzimmers. Sofort fiel ihr Blick auf einen großen blonden Mann, der vor Castor und Pallas an einem Platz stand, von dem sie wusste, dass er dem Anführer des Hauses von Theben gebührte.
Er musste Tantalus sein, und obwohl sie ihm nie begegnet war, erkannte sie ihn sofort. Sie sah sein Gesicht vor sich, zornrot, verschwitzt und vor Wut verzerrt, als er versuchte, ihr das Kind aus dem Leib zu prügeln.
Tantalus starrte Daphne an. Auf dieselbe Weise hatte Menelaos Helena angestarrt. Helens neue Begabung erlaubte ihr, die Begierde in seinem Herzen zu sehen. Einen Moment lang huschte sein Blick über Daphnes Schulter hinweg und landete auf Helen. Sie schauderte angewidert und musste an ein anderes Leben denken, in dem man sie gezwungen hatte, ihn zu heiraten. Doch dann sah er wieder Daphne an und ließ sie nicht mehr aus den Augen, bis das Orakel den Raum betrat.
Als Cassandra hereinkam und die Glöckchen an ihrem Armband leise klimperten, gesellten sich Lucas, Hector, Orion und Helen unverzüglich zu ihr. Cassandra setzte sich in ihren Riesensessel. Orion postierte sich links und Helen rechts von ihr. Hector und Lucas stellten sich beiderseits hinter Helen auf.
Sofort brach ein Sturm der Entrüstung los.
»Helen! Komm hierher zurück!«, befahl Daphne, doch Helen ignorierte sie freudig.
»Lucas … Sohn«, fuhr Castor ihn streng an. »Du wirst hinter deinem Onkel Tantalus stehen.« Lucas wandte den Blick von seinem Vater ab, starrte mit ausdrucksloser Miene wie ein Soldat stur nach vorn und rührte sich nicht von seinem Platz hinter Helen weg.
»Seht ihr? Ich habe es euch doch gesagt!«, zischte ein schlanker Mann mit vollen Lippen. Er war schon älter, ungefähr im Alter von Helens Mutter, aber er gehörte zu der Art Männer, die mit zunehmendem Alter immer besser aussehen. Eindeutig jemand aus dem Haus von Rom, stellte Helen fest. Sie kannte ihn nicht, aber Orion und Daedalus starrten ihn so hasserfüllt an, dass er nur Phaon sein konnte.
Phaon drehte ihnen den Rücken zu und sprach zu seiner Delegation. »Orion will nicht einmal bei uns stehen. Das Haus von Rom ist ihm ganz egal und ihr nennt ihn immer noch euren Anführer? Brauchen wir noch mehr Beweise, dass er vollkommen ungeeignet ist?«
Helen warf einen Blick auf die eiternde Wunde, die eigentlich sein Herz sein sollte, und ihr drehte sich der Magen um. Phaons Gesicht und Körper mochten zwar durchaus ansehnlich sein, aber diese Kreatur, die sie vor sich sah, war bis ins Innerste verdorben. Sie sah die Wut in Orions Gesicht aufflammen. Helen erhaschte seinen Blick und flehte ihn wortlos an, ruhig zu bleiben.
»Genug!«, befahl Cassandra ruhig. Sofort herrschte Stille und alle sahen das Orakel an. »Die Tage der Spaltung sind vorüber. Die Häuser sind vereint und als Sinnbild dieser Einheit haben wir einen eigenen Bund geschlossen. Jedes Haus wird von seinem Erben vertreten und wir haben Helen zu unserer Anführerin gewählt.«
»Herausforderung«, rief Phaon sofort und grinste angesichts von Helens dünnen Armen und weichen Händen siegessicher. »Ich fordere Helen Atreus heraus und bestreite ihr Recht, die Erben anzuführen … und das Orakel.«
»Ist Weihnachten dieses Jahr früher?«, spottete Hector, der mit einem breiten Grinsen
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