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03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen

Titel: 03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Choga Regina Egbeme
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unter dem großen Kochtopf. Faraa wurde quengelig; sie hatte Hunger.
    Als die ersten Fischstücke in der Suppe schwammen, der noch alle scharfen Zutaten fehlten, hatte Tanisha eine Idee. „Ob der Fisch weich genug ist, dass wir Faraa winzige Stückchen davon geben können?“, fragte sie und bat: „Kostest du mal?“
    „Du kennst deine Tochter besser. Mach du das lieber“, sagte ich ausweichend. Denn als Aidskranke wollte ich aus Vorsicht den Bissen nicht erst in den Mund nehmen, um dann das Kind damit zu füttern.
    Faraa schmeckte der Fisch sehr gut, immer wieder öffnete sie den Mund.
    Während Tanisha ihr Töchterchen fütterte, stellte ich die Gewürze zusammen, die nur für kurze Zeit mitkochen durften, damit sie ihre Wirkung nicht verloren.
    Ich war jedoch nicht bei der Sache und blickte immer wieder zu der jungen Mutter mit ihrem Kind. Ihre Bitte, zu kosten, hatte mir schlagartig bewusst gemacht, wie sehr ich jeden Fehler im Umgang mit anderen Menschen vermeiden musste. Unkonzentriert zerteilte ich Pfefferschoten. Wieder rutschte ich ab und schnitt mich erneut. Zwar blutete es kaum, brannte aber wie Feuer.
    „Lass uns tauschen. Du fütterst Faraa und ich schneide“, schlug Tanisha vor.
    Während ich die Kleine auf dem Schoß hielt, verschluckte sie sich und hustete. Ich legte sie auf den Bauch und klopfte ihr auf den Rücken, erkannte aber sofort,
    dass Faraa etwas im Hals steckte. Da geriet ich in Panik und drehte plötzlich völlig durch. Der Brocken musste aus dem Mündchen geholt werden. Was ich mit meiner Verletzung nicht riskieren durfte. Ich hätte meine Infektion wahrscheinlich übertragen!
    „Ich darf's nicht!“, rief ich. „Komm her und hilf!“ Ein winziger, unbedachter Augenblick sollte das Leben des hilflosen Babys nicht in Gefahr bringen.
    Tanisha blickte mich nur verwundert an, da sie meine panische Reaktion nicht nachvollziehen konnte, fasste dann aber beherzt zu und rettete ihre Tochter vor dem Ersticken. Ich stand daneben wie erstarrt. Was mochte meine Schülerin jetzt von mir denken? Durchschaute sie bereits, dass ich ihr meine Krankheit verschwiegen hatte? In diesen wenigen Sekunden lief vor meinen Augen alles ab, was ich über das Heilen gelernt hatte. Und es zeigte mir, dass ich eine Heilerin war, der durch Aids die Hände gebunden waren. Ich, die immer helfen wollte, konnte es nicht. Ausgerechnet am Missgeschick eines Babys wurde mir das nun vor Augen geführt. In all den Jahren zuvor hatte es solch eine Situation nie gegeben, weil immer jemand da gewesen war, der mir beigestanden hatte.
    Tanisha stillte ihre Tochter, die nach wenigen Minuten selig schmatzend einschlummerte. Eine Weile betrachtete ich dies friedliche Bild. Als HIV-positive Mutter hatte ich Josh nie stillen dürfen.
    Ich ertrug den friedlichen Anblick nur schwer, der mir auf so schmerzhafte Weise bewusst machte, dass mein Zustand eine Gefahr für andere darstellte. Solange das Virus sich nicht bemerkbar gemacht hatte, hatte ich mir vorgaukeln können, dass alles ganz normal sei - wenn ich vorsichtig war. Doch jetzt hatte sich die Infektion in eine Bedrohung meines Lebens verwandelt und stellte meine bisherige Haltung grundsätzlich infrage: Durfte
    ich überhaupt noch Heilerin sein? Der Boden, auf dem ich stand, schien zu schwanken ..
    Ausgerechnet zu Tanisha, die meine Nachfolgerin werden sollte, war ich nicht ehrlich gewesen. Sie wusste nicht, dass ich Aids hatte. Ich schämte mich meiner Feigheit. Ich trug erneut, und diesmal noch viel dicker, Heilpaste auf die Schnitte in meinen Fingern auf. Unkonzentriert vollendete ich die köchelnde Suppe, warf die Zutaten allerdings mehr hinein, als dass ich sie so liebevoll hinzufügte, wie aufmerksam zubereitetes Essen angerichtet werden sollte.
    Nachdem Tanisha ihre satte Tochter schlafen gelegt hatte, kam sie zur Kochstelle zurück und sah mich besorgt an. „Was ist los mit dir? Geht es dir nicht gut?“
    „Ich muss dir etwas gestehen, Tanisha“, sagte ich und mied ihren Blick.
    „Ich habe Aids. Ich hätte es dir viel eher sagen müssen.“
    Tanisha blickte mich verständnislos an. „Was heißt das, du hast Aids?“

    Ich erschrak entsetzlich. Das Geständnis, zu dem ich mich durchgerungen hatte, war im Grunde überflüssig. Ich offenbarte etwas, was sie niemals erfahren hätte! Wie gerade zuvor hätte sie sich allenfalls gewundert. Wie so viele Menschen in meinem Land wusste auch Tanisha nicht, was Aids ist. Es war ein sehr oft totgeschwiegenes Geheimnis.

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