03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
halten. Ich selbst war viel zu überrascht, um wirklich zu begreifen, was überhaupt vor sich ging. Mich wunderte vor allem, wie sich die so friedliche Stimmung nach Lapes Beerdigung in so kurzer Zeit ins Gegenteil verwandeln konnte.
Amara hakte mich bereits unter. „Du lügst!“, herrschte meine Mentorin die ihr im Grunde fremde Frau an.
Jetzt rastete Rose völlig aus. „Ich?“, brüllte sie mit sich überschlagender Stimme. „Ich bin eine ehrbare Frau. Aber diese Hexe hat schon meine Mutter auf dem Gewissen!“
Ada, groß und hager, bahnte sich einen Weg durch die Kinder. In ihrem Gefolge befand sich Bisi, wie Ada eine Hacke in der Hand. „Ich habe dir damals schon gesagt, dass unsere Gefährtin Ngozi nicht durch unsere Schuld gestorben ist!“, rief Bisi. „Warum musst du immer wieder mit diesem Unsinn anfangen? Der Tod deiner Mutter schmerzt uns ebenso wie dich. Schweig jetzt!“
Ada hatte bemerkt, dass meine Kleidung auf Hüfthöhe verschmutzt war.
„Was ist passiert, Choga?“
„Ist schon gut. Es war nichts“, wiegelte ich ab, um nicht noch Öl ins Feuer zu gießen.
„Nichts ist gut!“, kreischte Rose. „Du hast dich nicht an die Verabredung gehalten, die ich mit Miss Magdalena habe.“
„Heute ist unsere Freundin Lape gestorben. Wir haben sie gerade beerdigt.
Vielleicht hätten wir dich dazu um Erlaubnis fragen müssen“, gab ich zurück. Kaum dass ich gesprochen hatte, ärgerte ich mich bereits über meine Worte. Schweigen wäre klüger gewesen.
Roses Antwort bewies, dass meine Einsicht zu spät kam. „Schon wieder ist eine von euch an der Seuche gestorben?“ Sie griff die Hand des erstbesten ihrer Mädchen und zog das verdutzte Kind mit sich fort. „Wir gehen. Kommt!“ Über die Schulter rief sie uns noch nach: „Mit euch wollen wir nichts mehr zu tun haben!“
Unsere Kinder, meine Schwestern und Mamas wichen verblüfft zurück.
Schweigend starrten sie dem Auszug der sechs Menschen nach. Keinen von ihnen sah ich jemals wieder.
„Die wären wir los!“, schmetterte Adas kräftige Stimme in die allgemeine Betretenheit hinein. „Wir werden auch ohne diese Streithenne zurechtkommen. Oder was meint ihr?“
Manche murmelten Zustimmung. Doch es war offenkundig, dass alle wussten: Jetzt kamen harte Zeiten auf unsere Gemeinschaft zu. Ohne die Unterstützung von Roses Kooperative konnten wir unsere Farmprodukte nicht mehr auf dem Markt verkaufen. Langsam wandten sich die einzelnen Gruppen wieder ihren ursprünglich angestrebten Beschäftigungen zu.
Josh, der vor Schreck erstarrt zugesehen hatte, löste sich von den anderen Kindern und umarmte mich. „Mama, hast du dir wehgetan?“ Rührend wischte er den Staub von meinen Tüchern.
„Es tut nicht so weh“, beschwichtigte ich ihn und drückte ihn an mich. „Du kannst ruhig in die Schule gehen.“ Er reckte den Hals, um mir noch einen Kuss zu geben, und sauste durch die nahe Schultür in den Klassenraum.
Mit dem Rücken zur Wand
Amara und ich zogen uns ins Heilhaus zurück, wo wir eigentlich Lapes durchgeschwitzte Matratze hatten auswechseln wollen. Doch dazu fehlte mir die Kraft. Ich lehnte mich gegen die Wand, mir war schwindlig, der Druck hinter meinen Augen kaum auszuhalten. Sie schienen mir aus dem Kopf springen zu wollen. Ich musste Amara bitten, mich in mein Zimmer zu begleiten, damit ich mich hinlegen konnte.
„Das war zu viel für dich“, stellte meine mütterliche Freundin fest, nachdem sie mich ins Bett gebracht hatte. „Solchem Streit bist du nicht mehr gewachsen.“ Meine Mentorin setzte sich zu mir. Sie blickte mich ernst an. „Warum willst du, dass sich heute Abend alle versammeln?“
Ich seufzte. Amaras Frage erinnerte mich an ein Vorhaben, das nun unmöglich erschien. „Ich hatte ihnen sagen wollen, dass Josh und ich zu Ezira gehen. Das kann ich ja nun kaum noch. Meine Schwestern stehen doch nach diesem Streit vor dem Nichts. Die Zusammenarbeit mit der Kooperative können sie vergessen.“
„Das ist auch so, wenn du bleibst.“
„Ich werde dennoch zu Ezira und Tanisha gehen. Nur nicht jetzt. Erst müssen wir sehen, wie es weitergeht“, gab ich traurig zu bedenken. „Ich merke es doch an mir selbst: Für einen Aidspatienten ist es enorm wichtig, dass das Leben in ruhigen Bahnen verläuft.“
„Zumindest in einen Punkt musst du dir keine Sorge machen“, meinte meine mütterliche Freundin. „Meine Nachfolgerin hat mich heute angerufen. Wir haben uns fröhlich unterhalten. In Lagos läuft alles
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