03_Im Brunnen der Manuskripte
einer Übung. Ich war bei seiner Beerdigung. Er war ein
guter Mann.
»Wissen Sie schon, was ich da soll?« fragte ich.
Sergeant Tozer zuckte die Achseln. »Spezialauftrag. Man hat
mir gesagt, ich sollte jemand Intelligentes schicken, aber die
waren alle im Einsatz. Deshalb müssen Sie hin.«
Ich lachte. »Vielen Dank, Sarge.«
Ich hatte diese Szene in den letzten Wochen schon öfter ge-träumt, und der Grund dafür war offensichtlich – es war das
erste Mal, dass ich längere Zeit mit Landen verbrachte. Mein
Bruder Anton, der ebenfalls auf der Krim diente, hatte uns vor
ein paar Tagen miteinander bekannt gemacht, aber das war
nichts weiter Ungewöhnliches gewesen. Heute sollte ich Landen
in einem kleinen Aufklärungspanzer zu einem Beobachtungsposten fahren, unterhalb dessen eine Konzentration der kaiserlich-russischen Artillerie festgestellt worden war. Später nannten wir das »unser erstes Rendezvous«.
Bei Dienstantritt wurde mir befohlen, einen »Dingo« zu übernehmen. Der Dingo war ein zweisitziger Spähpanzer mit
starkem Motor, der es einem erlaubte, rasch vorzustoßen und
sich ebenso rasch aus kritischen Situationen zurückzuziehen,
wenn es notwendig war. Nachdem ich den Wagen übernommen hatte, musste ich fast eine Stunde warten. Ich stand mit
einer Anzahl anderer Fahrer in einem Zelt, wo wir Tee tranken,
Geschichten erzählten und lachten. Es war ein kühler Tag, aber
ich war froh, dass dieser Spezialauftrag den öden Routinedienst
unterbrach.
Plötzlich steckte ein gutaussehender Offizier seinen Kopf
durch die Zeltklappe. »Corporal Next?« sagte er. »Lassen Sie die
Tasse fallen, wir müssen los!«
Er war nicht schön, aber interessant, und im Gegensatz zu
den meisten anderen Offizieren schien er jedenfalls sehr gelassen.
Ich sprang auf. »Guten Morgen, Sir«, sagte ich. »Corporal
Next, das bin ich.«
Ich war mir nicht sicher, ob er sich an mich erinnerte. Aber
die Sorge hätte ich mir sparen können. Wie ich später erfuhr,
hatte er Sergeant Tozer ausdrücklich darum gebeten, dass ich
ihm zugeteilt würde. Er war offenbar nicht nur interessant,
sondern auch interessiert, aber das Flirten im Dienst war eine
höchst komplizierte Angelegenheit. Wenn man dabei erwischt
wurde, gab es saftige Strafen.
Ich führte ihn zu der Stelle, wo der Dingo stand, kletterte
hinein und startete den Motor. Landen schwang sich auf den
Sitz des Kommandanten. »Haben Sie Anton kürzlich gesehen?«
fragte er.
»Er ist irgendwo an der Küste«, sagte ich.
»Ich muss mich bei Ihnen bedanken. Ich habe fünfzig Pfund
verdient, als Sie am Wochenende beim Boxen gewonnen haben.«
Ich lächelte geschmeichelt, aber er sah mich gar nicht an,
sondern tippte nur auf die Karte.
»Da müssen wir hin, Corporal«, sagte er.
Ich studierte die Karte. Der Beobachtungsposten, den wir
aufsuchen sollten, lag auf einem Höhenzug nordwestlich von
unserer Basis. Ich war noch nie so nahe an der Front gewesen
und fand die Angelegenheit ziemlich aufregend. Landen schien
das zu spüren.
»Es ist nichts weiter dabei, Next. Ich war schon zwanzigmal
da oben und bin nur einmal ins Feuer gekommen.«
»Und wie ist das gewesen?«
»Vor allem entsetzlich laut. Fahren Sie erst mal Richtung Balaklava, ich sage Ihnen schon, wo wir nach Norden abbiegen
müssen.«
So brausten wir also los auf der holperigen Straße, und die
Landschaft ringsum war so schön und so friedlich, dass man
sich kaum vorstellen konnte, dass nur ein paar Kilometer entfernt zwei feindliche Armeen im Gelände versteckt waren,
deren Feuerkraft ausgereicht hätte, um die ganze Krim in
Stücke zu schlagen.
»Haben Sie schon mal einen Russen gesehen?« fragte er, als
wir einen Lastwagenkonvoi mit Granaten und Proviant für die
Artilleriestellungen hinter der Front überholten. Es hatte schon
seit Jahren keine schweren Kämpfe mehr gegeben. Es wurden
nur ab und zu ein paar Granaten in Richtung der Russen geschossen, damit sie wussten, dass wir noch da waren.
»Nein, Sir.«
»Die sehen genauso wie Sie und ich aus, wissen Sie?«
»Ach, wirklich? Ich dachte immer, sie tragen dicke Bärenfellmützen und haben Schnee auf den Schultern.«
Die Ironie war nicht verschwendet.
»Entschuldigung«, sagte er. »Ich wollte Sie nicht belehren.
Wie lange sind Sie schon hier?«
»Zwei Wochen.«
»Ich bin schon seit zwei Jahren da, aber das ist auch nicht viel
anders. Bei dem Bauernhof da vorn fahren Sie bitte rechts.«
Ich verringerte die
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