03_Im Brunnen der Manuskripte
überlegte einen Moment.
»Magst du Kaninchen?«
»Oh, ja, durchaus.«
Ich zog mein ReiseBuch heraus. »Komm, gib mir die Pfote.
Wir sind auf dem Weg nach RabbitGrandCentral.«
20.
Ibb und Obb und wieder Heights
BuchStapler: Um ein Buch vom Mispeling Vyrus zu befreien,
werden Tausende von Wörterbüchern in das befallene Buch
eingebracht. Daraus wird rings um den erkrankten Bereich
eine orthographische (bzw. orthografische oder doch lieber
gleich ortografische?) Barriere errichtet. Dieser bewegliche
Belagerungsring wird dann Absatz für Absatz auf den
Krankheitsherd zubewegt, bis der Vyrus zunächst auf ein
Kapitel, dann auf einen Absatz, einen Satz und schließlich
ein Wort beschränkt ist und man ihm gänzlich den Garaus
machen kann. Diese Maßnahme wird heute von BuchStaplern, in der Regel Rohlingen der Klasse D, durchgeführt,
obwohl die schnelle Eingreiftruppe der Anti-Mispeling Fast
Response Group (AFRG) jahrzehntelang aus überschüssigen
Mrs Danvers aus dem Brunnen der Manuskripte bestand (s.
Danvers, Mrs, Überproduktion von).
DER WARRINGTON-KATER, ehemals CHESHIRE CAT
– Führer zur Großen Bibliothek
Es war drei Tage später. Ich hatte gerade mein frühmorgendliches Kotzen hinter mich gebracht und lag wieder im Bett.
Meine Großmutter war noch immer nicht wieder da. Ich starrte
den Zettel an, den sie mir hinterlassen hatte. Remember. Was
hatte sie damit nur gemeint? Woran sollte ich mich erinnern?
Natürlich konnte das Ganze nur eine von Grannys wirren
Geschichten sein, aber die Sache gab mir doch ziemlich zu
denken, zumal auf meinem Nachttisch noch etwas anderes lag:
Die Bleistiftskizze eines attraktiven Mannes von dreißig bis
vierzig Jahren. Ich wusste aber nicht, wen sie darstellen sollte,
was insofern merkwürdig war, als ich sie selbst gezeichnet hatte.
Es klopfte aufgeregt an die Tür. Es war Ibb. Ibb hatte in der
letzten Woche jeden Tag weiblicher ausgesehen und war am
Donnerstag bereits richtig zickig gewesen. Obb wiederum hatte
ständig darauf beharrt, dass er recht hätte, wusste alles besser
und hatte geschmollt, wenn ich seinen Ansichten widersprach.
Wohin das führen würde, war ziemlich klar.
»Hallo, Ibb«, sagte ich und legte die Zeichnung beiseite. »Wie
geht's dir?«
Ibb antwortete, indem sie den Reißverschluss ihres Overalls
herunterzog und das Oberteil öffnete.
»Sehen Sie mal!« sagte sie stolz und zeigte mir ihre Brüste.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich langsam, denn ich war
immer noch etwas groggy. »Du bist also eine Sie.«
»Ich weiß«, sagte Ibb und konnte ihre Aufregung kaum beherrschen. »Wollen Sie den Rest auch noch sehen?«
»Nein, danke, ich glaub dir.«
»Kann ich mir einen von Ihren BHs leihen?« fragte sie und
bewegte ihre Schultern hoch und runter. »Diese … Dinger sind
etwas unbehaglich.«
»Ich glaube nicht, dass meine dir passen würden«, sagte ich
eilig. »Du bist viel üppiger als ich.«
»Oh«, sagte sie niedergeschlagen und fügte dann alsbald hinzu: »Wie wäre es mit einem Haarband und einer Bürste? Mit
diesem Haar kann man wirklich nichts anfangen. Hoch, runter
– vielleicht sollte ich's abschneiden lassen – ach, ich hätte ja so
gerne Locken gehabt!«
»Ibb, es sieht wirklich sehr nett aus.«
»Lola«, korrigierte sie mich, »nennen Sie mich bitte Lola von
jetzt an.«
»Gut, Lola, setz dich aufs Bett.«
Sie setzte sich, und während ich ihr das Haar bürstete, erzählte sie von einem Diätplan, der ihr beim Abnehmen helfen
sollte. Im wesentlichen ging es offenbar darum, dass sie sich
beim Wiegen mit einem Fuß auf die Waage und mit dem anderen auf den Boden stellen wollte. Auf diese Weise, erklärte sie
mir, könne sie jedes beliebige Gewicht erreichen, ohne auf
Kuchen verzichten zu müssen. Dann redete sie über eine weitere tolle Entdeckung, die sie gerade gemacht hatte. Sie war
überzeugt, die Männer würden ihr bestimmt dabei helfen, weil
es so unglaublich Spaß machte.
»Sei bloß vorsichtig!« sagte ich. »Überleg dir genau, was du
machst und mit wem.« Es war derselbe Rat, den mir meine
Mutter gegeben hatte, und ich ging davon aus, dass Lola ihn
genauso ignorieren würde wie ich.
»Oh, ja«, versicherte mir Lola. »Ich werde sehr vorsichtig
sein. Ich werde immer erst fragen, wie sie heißen.«
Als ich fertig war, betrachtete sie sich einen Augenblick lang
im Spiegel, umarmte mich heftig und sprang aus der Tür.
Langsam zog ich mich an und ging in die
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