03_Im Brunnen der Manuskripte
versicherte – »vollkommen unwichtig«.
Die wirklich große Neuigkeit aber war, dass endlich das Datum für die Einführung von UltraWord™ festgesetzt worden
war. TextGrandCentral hatte den Termin um zwei Wochen
vorverlegt, so dass die öffentliche Vorstellung bei der Verleihung der 923. jährlichen BuchWeltPreise stattfinden konnte.
Während der Veranstaltung würde WortMeister Libris das
neue Betriebssystem vorführen. Über sieben Millionen literarische Figuren würden ihm dabei zusehen. Der Protokollführer
erzählte uns, er sei gerade erst in TextGrandCentral gewesen
und habe die neuen UltraWord™-Server selbst gesehen. Jede
dieser brandneuen, funkelnden Maschinen konnte ungefähr
tausend Lesungen eines Buches gleichzeitig verarbeiten, während die alten V8.3-Server nur mit viel Glück auf über hundert
kamen.
Ich drehte das Fenster hinunter und sah hinaus. Staus waren in
Reading nicht selten, aber in der Regel bewegte sich der Verkehr doch zumindest ein bisschen. Ich hatte inzwischen fast
zwanzig Minuten an Ort und Stelle gestanden. Frustriert stieg
ich aus, um zu sehen, was los war.
Erstaunlicherweise hatte es einen Unfall gegeben. Ich sage
»erstaunlicherweise«, weil alle Autofahrer und Fußgänger in
Caversham Heights nur Rohlinge der Kategorien D-2 bis D-9
waren. Etwas so Dramatisches wie ein Unfall lag weit außerhalb
ihres Aufgabenbereichs. Während ich an den acht blauen
Morris Marinas vorbeiging, die vor mir in der Schlange standen, stellte ich fest, dass sie alle eine identische Beule im Kotflügel und einen kaputten Scheinwerfer hatten. Und als ich die
Stelle erreichte, wo die Straße blockiert war, zeigte sich, dass der
Zwischenfall offenbar von einem der Lieferwagen von Dr.
Spongg's Fußpflege ausgelöst worden war. Allerdings unterschied sich dieser Wagen stark von den anderen. Normalerwei-se handelte es sich um ungewaschene Ford Transits mit schwarzem Dieselöl am Einfüllstutzen. Aber dieser Wagen war
schneeweiß, sehr kastenförmig und ohne jegliche Schmutzstreifen. Die Reifen waren nicht richtig rund, stellte ich fest, sondern
schienen fast fünfzig Ecken zu haben – was sie wiederum doch
beinahe rund wirken ließ. Ich sah sie mir genauer an. Die Reifen
hatten keinerlei Oberflächenzeichnung oder Struktur. Sie waren
einfach zweidimensional. Der Fahrer war genauso wenig ausgearbeitet wie der Wagen; er schien aus lauter rosa Würfeln
zusammengesetzt, trug einfache, grobe Gesichtszüge und einen
blass-blauen Overall.
Der Lieferwagen war nach links ausgebrochen und hatte einen der blauen Morris Marinas getroffen – und damit alle an
derselben Stelle beschädigt. Der Besitzer, ein grauhaariger Herr
in einer Tweedjacke mit Fischgrätmuster, versuchte, den kubistischen Unfallfahrer zur Rede zu stellen, hatte damit aber nicht
viel Glück. Der Bursche drehte sich zwar um und versuchte zu
sprechen, starrte dann aber wieder stur geradeaus und machte
Fahrbewegungen, obwohl der Wagen sich nicht bewegte.
»Was ist denn los?« fragte ich die Schaulustigen, die sich versammelt hatten.
»Dieser Idiot ist falsch abgebogen«, sagte der grauhaarige
Fahrer des Morris Marina, während seine grauhaarigen D-4Klone eifrig nickten. »Wir hätten alle tot sein können!«
»Sind Sie verletzt?« fragte ich den kubistischen TransitFahrer, der mich ausdruckslos ansah und den zweiten Gang
einzulegen versuchte.
»Ich fahre jetzt, seit das Buch geschrieben wurde, und hatte
nie einen Unfall«, sagte der Morris-Marina-Fahrer empört.
»Jetzt ist mein Schadenfreiheitsrabatt hinüber – und aus dem
Kerl ist nichts herauszukriegen.«
»Ich hab alles genau gesehen«, sagte einer von den echten
Spongg-Fahrern. »Der Bursche muss noch mal in die Fahrschule!«
»Wie auch immer«, sagte ich. »Die Schau ist vorbei. Mr Morris-Marina-Fahrer, können Sie ihren Wagen noch fahren?«
»Ich glaube, ja«, sagten die acht identischen grauhaarigen
Fahrer im Sprechchor.
»Dann räumen Sie bitte die Straße. Mr Transit-Fahrer?«
»Ja?«
»Nehmen Sie ein Abschleppseil und schaffen Sie diesen
Schrotthaufen weg!«
Gehorsam machte er sich auf den Weg, während die MorrisMarina-Fahrer ihre ratternden Motoren anließen und mit ihren
acht identischen Unfallwagen das Feld räumten.
Ich winkte die Fahrzeuge um den gestrandeten Lieferwagen
herum, als plötzlich die Luft knisterte. Mit einem Krachen
verschwand der kubistische Laster von der Bildfläche und
hinterließ nichts als einen
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