03 - komplett
begonnen, als die Tage verstrichen und keine Antwort von ihm gekommen war.
Wollte er jetzt vielleicht doch ihre hundert Pfund haben? Sie bezweifelte das sehr.
Mit seiner anmaßenden Einladung, die im gleichen gleichgültigen Ton gehalten war wie seine Forderung nach tausend Pfund, wollte er nur unterstreichen, dass er sie in der Hand hatte. Außerdem konnte er keine Zeit an sie verschwenden vor diesem Abend und auch dann konnte er sich nur zu einigen Minuten herablassen. Er ließ sie nach seiner Pfeife tanzen, weil auch sie ihn früher an der Nase herumgeführt und mit ihm gemacht hatte, was sie wollte.
Heftig zerknüllte sie den Brief und ließ ihn auf den Tisch fallen. Ihr wurde ganz schwindlig vor ohnmächtiger Wut. Noch einmal konnte sie ihn deswegen nicht bei sich zu Hause belästigen, und das wusste er nur zu gut. Sie konnte das Schicksal nicht ein zweites Mal herausfordern und womöglich einen Skandal riskieren. Sie musste an June denken. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich seinen Wünschen zu fügen, und auch das wusste er. Wahrscheinlich musste sie froh sein, dass er noch bereit war, einen Preis für eine kurzzeitige Pacht für Windrush auszuhandeln. Und vielleicht würde es ihr doch noch gelingen, ihn davon abzuhalten, ihr Erbe sofort zu verkaufen.
Was sie brauchte, war ein kleiner Aufschub, die Gelegenheit, einen Plan in die Tat umzusetzen, der ihr Erbe hoffentlich retten würde. Wenn sie dafür die Demütige spielen musste, die an seine Großmut appellierte, dann würde sie es eben tun.
Bevor sie doch wieder ihren Stolz über die Weisheit dieser Gedanken siegen ließ, setzte sie sich an den kleinen Sekretär in der Ecke des Raums, schrieb einen höflichen Dank für die Einladung und versiegelte das Papier. Natürlich musste sie gehen. Denn noch bestand die Hoffnung, dass June auf Windrush heiraten könnte, und solange die bestand, würde sie sich seinem Willen beugen. Genau, wie er es beabsichtigt hat, dachte Rachel bitter.
Rachel setzte den kleinen Jungen auf ihren Schoß und half ihm dabei, seine Zinnsoldaten auf dem Tisch in einer Reihe aufzustellen. Als sie in passabler Formation dastanden, schlug Alan die Rotröcke wieder mit seiner pummeligen Faust nieder. Er kicherte und sah Rachel spitzbübisch an.
„Oje, wie bedauerlich! Ein ganzes Infanterieregiment einfach ausgemerzt“, klagte Rachel kummervoll. „Und noch dazu, ohne dass ein Schuss abgefeuert worden wäre oder eine Schlacht geschlagen! Was wird Wellington nur dazu sagen? Keine Orden für dich, junger Mann!“
Der Dreijährige lachte glucksend und kletterte von ihrem Schoß herunter. Auf seinen stämmigen Beinchen flitzte er davon, um etwas anderes in seiner Spielzeugkiste zu finden.
„Ich bin sicher, Paul und ich sind nur als deine Freunde eingeladen worden“, bemerkte Lucinda nachdenklich. „Paul glaubt allerdings, es sei wegen der neuen Geschäftsverbindung, die er mit dem Earl eingegangen ist.“
„Paul hat gewiss recht“, log Rachel freundlich. Warum sollte sie ihrer Freundin auch verraten, dass sie im Grunde nur als ihre Anstandsdame fungieren sollte?
„Kaum hatte ich die Einladung erhalten, brannte ich darauf zu erfahren, ob du auch eine bekommen hattest und ob du sie annehmen würdest.“
Rachel nippte schnell an ihrem Tee, bevor der kleine Alan kam und ihr die Tasse womöglich aus der Hand schlug. „Natürlich werde ich annehmen“, antwortete sie und hoffte nur, man hörte ihr keinen Sarkasmus an. „Was auch in der Vergangenheit zwischen den Merediths und Devane vorgefallen sein mag, darf es einem doch nicht schwerfallen, Höflichkeit walten zu lassen.“
Nicht schwerfallen, dachte sie grimmig. Sie sehnte sich danach, ihrer Freundin offen zu gestehen, dass sie den schändlichen Mann hasste. Nicht nur, weil er ihr Erbe an sich gerissen hatte, sondern weil er darüber hinaus entschlossen war, sie zu beschämen und zu demütigen. Noch jetzt quälte sie die Erinnerung daran, wie er sie behandelt hatte. Trotzdem empfand sie gleichzeitig auch ein seltsames Verlangen, ihre Brüste prickelten und Hitze erfüllte ihren ganzen Leib – und dann hasste sie den Earl nur noch mehr.
Doch ein wichtiger Grund hielt sie vom Sprechen ab. Lucinda käme durch eine Beichte in eine schwierige Lage. Ihr Mann war einer der Partner von Saunders und Scott, einer Anwaltsfirma für Seetransportversicherungen. Und diese Firma hatte einen Auftrag des Earl of Devane erhalten, sich um einen Teil seiner Transportgeschäfte zu kümmern.
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