03 - komplett
wiedererkennen.
Schließlich war heute nichts mehr von der verschmutzten, erschöpften alten Jungfer jenes Abends zu sehen. Rachel hatte sehr darauf geachtet, elegant und tadellos zu erscheinen. Das blaue Kleid, das ihre Augen so vorteilhaft betonte, hatte sie vor allem wegen seines dezenten Schnitts gewählt. Die schimmernden Perlen in ihrem blonden Haar rundeten ihre Erscheinung ab. Rachel war mehr als zufrieden mit sich und bereit, sich jeder Herausforderung zu stellen.
Im nächsten Moment wurde ihr jedoch klar, dass Joseph Walsh sie nicht nur gesehen, sondern auch erkannt hatte. Ihre Blicke ließen sich einen Moment nicht los, und dann verbeugte der Butler sich zu ihrem großen Erstaunen besonders respektvoll vor ihr. Er kam auf sie und ihre Freunde zu, winkte einen Lakaien fort und geleitete sie höchstpersönlich in die eindrucksvolle Halle. Am Fuß der Treppe bat er sie, sich zu den Gesellschaftsräumen im ersten Stock zu begeben.
Als sie die breite Treppe bis zur Hälfte erklommen hatte, besiegte Lucinda ihre Ehrfurcht lange genug, um Rachel zuzuflüstern: „Ich glaube, das ist das prächtigste Haus, das ich je betreten habe.“ Sie betrachtete voller Bewunderung die dunklen Samtvorhänge, die Marmorwände und die funkelnden Kronleuchter. „Ist es nicht aufregend? Ich hoffe, ich sehe nicht zu hässlich und fett aus“, seufzte sie und zog die Seidenstola um ihren runden Bauch.
„Du siehst wunderhübsch aus“, beruhigte Rachel sie und fügte hinzu: „Ja, es ist wirklich sehr aufregend.“
Lieber Gott, viel zu aufregend, ging ihr durch den Kopf. Zum ersten Mal wünschte sie, sie könnte sich irgendwo in einer Ecke verstecken, sodass niemand sie sehen würde.
Zu ihrer Bestürzung bemerkte sie ihre Gastgeber, konnte aber nicht genau sagen, warum sie gerade diesen beiden Menschen nicht so gern begegnet wäre. Vielleicht weil sie sie immer mit Freundlichkeit und Respekt behandelt hatten. Vielleicht weil sie sich selbst nach sechs Jahren unendlich schuldig fühlte.
Von Connor Flint war nirgendwo eine Spur. Seine Mutter und sein Stiefvater empfingen die Gäste. Aber hätte man auch etwas anderes erwarten können? Dass der Earl of Devane die Rolle der Gastgeberin von seiner Geliebten spielen lassen würde? Sosehr Rachel ihn auch verachtete, glaubte sie doch nicht, dass selbst er so tief sinken könnte, mit dieser Person an seiner Seite den Duke of Wellington zu begrüßen. Wie Rachel gehört hatte, würde dieser berühmte Feldherr im Laufe des Abends erscheinen.
Es fehlten nur noch wenige Meter bis zu der hochgewachsenen schwarzhaarigen Dame im dunkelroten Samtkleid mit dem gewagten Ausschnitt. Lady Davenport sah großartig aus und, genau wie ihr Sohn, keinen Tag älter als vor sechs Jahren.
Rachel wäre in diesem Moment am liebsten am anderen Ende der Welt gewesen.
Und das wusste er. Er wusste, wie schwer es ihr fallen würde, seiner Mutter und seinem Stiefvater zu begegnen. Ganz offensichtlich waren ihm ihre Gefühle gleichgültig, doch wenigstens seiner Mutter hätte er dieses öffentliche Schauspiel ersparen können. Lady Davenport würde sich unmöglich über die Anwesenheit der Frau freuen, die ihren Sohn öffentlich gedemütigt hatte. Wahrscheinlich wird sie sogar vorgeben, mich nicht wiederzuerkennen, dachte Rachel.
„Miss Meredith, nicht wahr?“
Rachel sank in einen tiefen Knicks und nickte zustimmend.
Rosemary Davenport nahm eine von Rachels zitternden Händen in ihre und wandte sich dann an ihren Gatten, der Paul und Lucinda Saunders begrüßte. „Du erinnerst dich gewiss an Miss Meredith, mein Lieber?“
In ihrer Aufregung kam es Rachel so vor, als würde Sir Joshua sie missbilligend mustern.
„Da hol mich doch der Kuckuck! Ich glaube nicht, meine Liebe“, sagte er schließlich resigniert und wandte sich an seine Frau: „Wer ist sie denn?“
Liebevoll gab Rosemary Davenport ihm einen Klaps auf den Arm, als wolle sie ihn tadeln, und lächelte Rachel entschuldigend an. „Ich glaube, er scherzt nur. Allerdings ist sein Gedächtnis nicht mehr, was es war“, erklärte sie, und der Schmerz in ihren dunkelbraunen Augen machte Rachel klar, dass Sir Joshua sie nicht hatte brüskieren wollen.
Er betrachtete sie durch sein Monokel, und es war so offensichtlich, welche Mühe er sich gab, sich zu erinnern, dass es Rachel rührte. Sie spürte, wie ihr Unbehagen verschwand. Er hatte sie wirklich vergessen. Aber auch sie hätte ihn vielleicht nicht erkannt, wäre nicht seine Frau an seiner
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