03 - komplett
aufgesucht hätten, wäre das der Fall gewesen. Außerdem hatte sie niemanden in ihren Plan eingeweiht. Sie war in einer Droschke hergefahren, und auf die gleiche Weise wollte sie mit ihrer Beute zurückkehren.
Was für ein absonderlicher Zufall also, dass Sam ausgerechnet in der Nacht beschlossen hatte, seinen alten Arbeitskollegen einen Besuch abzustatten, in der seine neue Herrin hier einen Diebstahl zu begehen plante.
Wieder huschte ihr Blick zur Wanduhr. Fast Viertel vor neun. Sie musste etwas tun!
Entweder sie nahm allen Mut zusammen und führte ihre Mission aus, oder sie gab feige auf und schlich sich unverrichteter Dinge wieder davon.
Kurz entschlossen näherte sie sich erneut der Tür und öffnete sie. Vorsichtig tat sie einen Schritt, doch gleich darauf zog sie den Fuß resigniert wieder zurück, weil irgendwo im Hausinneren Männerstimmen laut wurden. Sollte sie diesen verflixten Raum niemals verlassen dürfen? Die Stimmen wurden sogar noch lauter. Weitere kamen dazu, sowohl männliche als auch weibliche, bis das ganze Haus ein einziger anschwellender Missklang geworden zu sein schien.
Rachel blieb regungslos stehen, hin und her gerissen zwischen Neugier und Verzweiflung, während Bedienstete aus allen Richtungen in die Halle gelaufen kamen. Zwei Dienstmädchen huschten an der leicht geöffneten Tür vorbei. Unter all den wild durcheinanderredenden Leuten erkannte Rachel Joseph Walshs Stimme und Sam Smiths ruppigen Cockney-Akzent.
Und erst dann wurde ihr klar, was hier vor sich ging. Sam stand unter Arrest! Jetzt konnte sie ihn sehen. Zwei stämmige Lakaien hielten ihn fest, während Joseph ihn offenbar zur Rede stellte. Ohne weiter zu überlegen, verließ sie endgültig den Salon.
Warum in aller Welt greifen sie Sam an? war ihr erster Gedanke. Warum kann nie etwas nach Plan verlaufen? war ihr zweiter. Der dritte brachte sie wieder zu dem Grund ihres Hierseins. Was immer Sam verbrochen hatte, er schenkte ihr auf aufsehenerregende Weise die Ablenkung, die sie so dringend brauchte. Wenn sie sie nur zu nutzen wusste!
Nach einem tiefen Atemzug und einem letzten Blick auf den Aufruhr in der Halle, eilte sie flink in die entgegengesetzte Richtung.
14. KAPITEL
„Miss Meredith! Ich habe nach Ihnen gesucht!“
Rachel trat hastig von der offenen Schublade zurück und konnte sich gerade eben noch davon abhalten, sie schuldbewusst zuzuschieben. Schnell versteckte sie die Pistole hinter dem Rücken. Mit zitternden Beinen entfernte sie sich von dem schweren Mahagonischreibtisch und stellte sich Joseph Walsh.
Der Butler schüttelte bedauernd den Kopf. „Sie haben den Tumult mitbekommen und wollten nach dem Rechten schauen. Da ist es verständlich, dass ich Sie vorfinde, wo alles begonnen hat.“
„Ich ... es war wirklich plötzlich sehr laut. Und es begann in diesem Raum?“ Rachel brachte die Worte ruhig hervor, obwohl ihre Gedanken rasten und ihr Herz sich anfühlte, als würde es zerspringen.
Joseph kam näher. „Was für ein Chaos der Schurke verursacht hat! Er versuchte, zu entkommen. Aber jetzt haben Weekes und Crewe – zwei meiner kräftigsten Männer
– ihn in sicherem Gewahrsam. Fürchten Sie nicht, wir könnten zulassen, dass ein Verbrecher frei in unserem Haus herumläuft.“ Plötzlich spiegelte sich tiefe Betroffenheit in Josephs Gesicht wider. „Lieber Himmel, waren nicht Sie selbst es, Miss Meredith, die die Güte hatte, Samuel Smith und seine Schwester bei sich zu beschäftigen, als sie von hier fortgingen? Und ich gab ihnen auch noch so glänzende Referenzen! Lord Devane wird schäumen, wenn ihm bewusst wird, dass er Ihnen einen solchen Schurken vorgestellt hat.“
„Was wollen Sie damit sagen, einen Schurken?“, flüsterte Rachel, obwohl sich bereits eine fürchterliche Ahnung in ihr zu regen begann. Unwillkürlich streifte ihr Blick die leere Schublade, die sie gerade vorhin vergeblich durchwühlt hatte. Bei ihrem Eintreten hatte sie festgestellt, dass die Schublade bereits geöffnet worden war, und der Schlüssel steckte noch in seinem Schloss. In der Lade fand sie nichts als die verzierte Pistole, die sie dummerweise in die Hand genommen hatte, um den hinteren Teil der Schublade besser abtasten zu können. Und nun hielt sie die Waffe noch immer hinter ihrem Rücken versteckt und sah keine Möglichkeit, sie zurückzulegen, ohne Josephs Misstrauen zu erwecken.
„Samuel Smith wollte die Freundlichkeit Seiner Lordschaft mit einem Verbrechen entgelten! Er hat versucht, ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher