03 - komplett
sein.
„Wir sollten fahren“, sagte Sylvie und stieß ihm in die Rippen. Sie wollte allein mit Mrs. Bragg sein, um herauszufinden, was sie wusste. John neigte dazu, im falschen Moment die falschen Dinge zu sagen, und das konnte alles nur noch schlimmer machen.
„Ich spanne die Pferde an“, sagte er und schritt zielstrebig zum Stall.
Mrs. Bragg grinste, in ihren Augen stand ein Funkeln. „Ich bin selbst eine romantische Seele. Ich und Mr. Bragg, wir beiden waren auch lange vor unserer Hochzeit schon ein Liebespaar.“
Es schien unnütz, die Tarnung weiter aufrechtzuerhalten, doch es war immens wichtig, dass die Wirtin ihre Entdeckung niemandem weitererzählte, besonders nicht ihrem noblen Gast. „Sie haben also herausgefunden, dass wir nach Gretna Green wollen.“
Mrs. Bragg beugte sich zu Sylvie hinüber und tätschelte ihr beruhigend den Arm.
„Meinetwegen müssen Sie sich keine Sorgen machen, meine Liebe. Ich hab ein Gasthaus zu führen, Moralpredigten liegen mir nicht. Außerdem hab ich schon Bekanntschaft mit allen möglichen Leuten gemacht, und ich kann sehen, dass Sie eine wahre Dame sind. Nicht so wie die da oben. Die besteht nur aus Hochmut und Launen und benimmt sich wie eine Straßenkatze. Ich hoffe, dass für Sie alles in Ordnung kommt.“
Sylvie lächelte. „Danke. Allerdings muss ich Sie um einen Gefallen bitten, Mrs. Bragg, denn ich ... wir ... sind in einer misslichen Lage. Bitte verraten Sie niemandem, was Sie herausgefunden haben. Lord Rockingham ist ein Freund meiner Familie und er könnte ... nun, wenn er herausfindet, dass ich noch nicht Mrs. Vance bin, wird er sich sicher verpflichtet fühlen, mich nach Hause zu bringen.“
Mrs. Bragg legte einen dicken Finger an die Nase. „Meine Lippen sind versiegelt. Ich sag ihm nichts, selbst wenn er fragen sollte. Sie haben Glück, dass Seine Lordschaft alle Hände voll damit zu tun hat, sein Pferd zurückzubekommen und dieses schamlose Luder da oben zu bändigen. Die hat vielleicht ein Temperament, kann ich Ihnen sagen. Ich hab sie fluchen hören wie einen Bierkutscher. Also, was ich sagen will, er hat kein Recht, euch beiden jungen Leuten Moralpredigten zu halten. Er ist übrigens nicht der Gentleman, mit dem sie hier ankam, müssen Sie wissen. Der andere ist abgehauen, nachdem Seine Lordschaft eintraf.“
Als Sylvies Ausdruck von Unglauben zu Abscheu wechselte, hustete Mrs. Bragg und meinte: „Nun, genug davon. Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun. Sie haben einen netten, kräftigen jungen Mann an Ihrer Seite. Er sieht gut aus, wirft aber nicht mit seinem Charme um sich, wie manche der jungen Kerle, die wissen, dass sie nur einmal mit den Augen zwinkern müssen, um ein Mädchen um den Finger zu wickeln.“ Mrs. Bragg nickte heftig und fügte hinzu: „Sie geben ein schönes Paar ab.
Vermutlich werden Ihre Eltern nichts mehr einzuwenden haben, wenn sie erst einmal niedliche Enkelsöhne auf ihren Knien schaukeln. Aber Sie sollten sich ganz sicher sein, was Sie tun, denn das Leben ist selbst in den besten Zeiten hart, auch ohne, dass einem die Familie den Rücken gekehrt hat.“ Sie nickte John zu, der die Kutsche zufrieden lächelnd in den Hof fuhr.
„Also dann, auf Wiedersehen und viel Glück.“
Seit zwei Meilen hatten Sylvie und John nun schon kein Wort mehr miteinander gewechselt. Nach Verlassen des Gasthofs hatten sie sich eine Weile über den Pferdediebstahl unterhalten und Vermutungen angestellt, ob Lord Rockingham seinen zweiten Hengst wohl zurückbekommen würde. Nun gab es dazu nichts mehr zu sagen, und ihre eigenen Probleme ließen sich nicht länger verschweigen.
Sylvie schenkte John ein flüchtiges Lächeln und zog die Reisedecke fester um sich.
Unbewusst entwich ihr ein Seufzer.
„Was hast du?“, fragte John besorgt. „Machst du dir Gedanken, ob Mrs. Bragg uns verraten wird? Oder befürchtest du, Lord Rockingham wird herausfinden, dass wir durchgebrannt sind, und versuchen, uns einzuholen?“
„Nein. Obwohl Mrs. Bragg es ihm natürlich erzählen könnte. Ach, ich weiß nicht!“, sagte Sylvie. Die Begegnung mit Adam Townsend hatte sie merkwürdig aufgewühlt und nun, da es zur Sprache kam, verlor sie unverhofft die Fassung. „Viel Glück hat uns Mrs. Bragg gewünscht!“, stieß sie hervor. „Als ob wir Glück nötig hätten.
Gesunden Menschenverstand bräuchten wir nötiger. Wie konnte ich nur eine solch offensichtliche Sache übersehen? Hätte sie einen Ring an meinem Finger entdeckt, hätte sie sicher
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