03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
Sterblichen vorbei, die am Ufer entlangschlenderten – verschwunden nach einem Wimpernschlag. Er ließ den Fluss hinter sich und machte sich auf den Weg ins Herz seines geliebten New Orleans: le Vieux Carré . Wie eine kühle Brise vom Mississippi flog er durch Straßen voller hupender Autos, vorbei an Bürgersteigen, dicht gepackt mit Sterblichen, die nach Alkohol, Lust und Hemmungslosigkeit stanken. Darunter lag stets ein schwacher, aber präsenter Geruch von Verfall.
Mauvais schlenderte an der Menge auf dem Jackson Square vorbei, dessen Eisengeländer mit bunten Laternen geschmückt war. Er ging die Pirate Alley hinunter, deren Name ihn auch jetzt noch, nach all den Jahren, amüsierte. Piraten hatten sich auf diesem Kopfsteinpflaster nie gezeigt – höchstens, um irgendwohin zu pinkeln. Er eilte an der Dumaine Street vorbei und bog in die Chartres ein, wo er schließlich vor den Mauern des Ursulinenklosters anhielt.
Orangefarbene Gaslaternen flackerten auf dem regennassen Kopfsteinpflaster. Einen Block weiter war das Klappern von Pferdehufen zu hören. Eine Kutsche mit Touristen fuhr gerade zurück zum Jackson Square. Einen Augenblick lang glaubte Mauvais beinahe, in jenes New Orleans vor zweihundert Jahren zurückgekehrt zu sein, zu jener Zeit, als die Straßen noch nicht so sauber waren wie heutzutage. Ein Lächeln huschte über seine Lippen.
Er hatte Justine hier nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt, als er in die Stadt zurückgekehrt war, die er fast ein Jahrhundert lang nicht mehr gesehen hatte. Die wundervolle Justine, ein französischer Flüchtling, herzergreifend jung und völlig allein.
Mauvais’ Herz verkrampfte sich. Seine Liebe für seine Fille de sang , seine einzige Blutstochter mit ihrer bleichen Haut, ihren von schwarzen Wimpern umrahmten dunklen Augen und ihrem Kirschmund hatte manchmal fast etwas körperlich Quälendes – scharf wie ein Messer. Er hatte es keinen Moment lang bedauert, sie in eine Vampirin verwandelt zu haben. Von den meisten seiner Fils des sangs konnte er das leider nicht behaupten.
Aber Justine hatte gedroht, den Conseil du Sang zu kontaktieren, falls Giovanni und der Cercle des Druides zuließen, dass Dante Baptiste trotz seiner Verbrechen ungestraft davonkam, mochte er nun ein Blutgeborener sein oder nicht.
Mauvais nahm an, dass die wenigsten Mitglieder des Conseil du Sang , der für die Gesetzesvollstreckung zuständig war, jemals einem echten Blutgeborenen begegnet waren. Er hatte vor vielen Jahrhunderten, als er noch jung gewesen war, einen getroffen und nie den berauschenden Geschmack seines Blutes vergessen. Oder die Stärke, die ihm dieses Blut eine Weile verliehen hatte.
Blutgeborene, so wenige es von ihnen gab, waren meist Außenseiter, die sich selten um die Gesellschaft anderer bemühten. Dante war anscheinend nicht so. Er hatte seine eigene Band und führte den Club Hell. Er war kein Außenseiter.
Möglicherweise ließ sich die Scheu der Blutgeborenen dadurch erklären, dass sie nie sterblich gewesen waren. Sie hatten nie unter den Zweifeln und Qualen eines neugeborenen Vampirs gelitten, der sich daran erinnerte, wie es gewesen war, ein Mensch zu sein. Sie erlebten nie die marternde Erkenntnis, dass es gar nicht so schwierig war, denen den Lebenssaft zu rauben, die man liebte.
So trotzig und anarchisch-respektlos sich Dante stets verhalten hatte, konnte er durchaus jenes chaotische und heftige Potenzial besitzen, das nötig war, um ihre verfallende Gesellschaft – sowohl die der Sterblichen als auch die der Vampire – mit neuem Leben zu erfüllen.
Mauvais sah auf, als er eilige Schritte vernahm. Eine junge Frau in einem altertümlichen schwarzen Umhang eilte den Bürgersteig entlang. Als sie unter einer Laterne vorbeikam, schimmerte ihr blondes Haar einen Moment lang golden. Schatten tanzten über ihr besorgtes Gesicht. Sie hielt ihren schwarzvioletten Spitzenrock hoch, um nicht darüber zu stolpern.
Als sie sich kurz vor ihm befand, trat Mauvais auf sie zu. »Kann ich Ihnen helfen, M’selle ?«
Sie blieb stehen und sah ihn aus grünen Augen an, die schwarz umrandet waren. Ihre roten Lippen verzogen sich zu einem zögerlichen Lächeln. Sie duftete nach Lavendel und Flieder. Ein erlesenes Spielzeug.
»Ich bin spät dran«, antwortete sie im knappen Tonfall einer Amerikanerin aus dem Norden. »Für die Gespenstertour. Wir treffen uns bei Lafitte’s Blacksmith Shop, und ich … könnten Sie mir sagen, wo ich hinmuss?«
»Ich kann sogar noch mehr
Weitere Kostenlose Bücher