03 - Schatten Krieger
Augenzeugin sowohl furchtbarer Barbarei als auch selbstlosen Heldentums wurde. Einige Menschen wurden zu Tode getrampelt, andere vor dem sicheren Tod gerettet. Irgendwann wurde Tashil von den anderen getrennt, konnte sich jedoch in das Fenster eines Hauses ziehen. Sie verließ das Gebäude durch den Hinterhof und suchte sich einen verschlungenen Weg nach Norden. Schließlich stieß sie wieder zu den anderen, die mittlerweile ein Lagerhaus für Tierfutter in der Nähe des Ufers erreicht hatten. Von den verwitterten Zinnen des Seetor-Turmes aus konnte Tashil die Stelle sehen, wo sie und die anderen in einem flachen Ruderboot, das sie in einem der Schuppen des Lagerhauses gefunden hatten, den Vaale überquert hatten. Auf halber Strecke war der Kahn leck geschlagen, und ihre Bemühungen, das Wasser auszuschöpfen, wurden von etlichen Schwimmern erschwert, die versuchten, in das Boot zu klettern. Irgendwie waren sie so lange über Wasser geblieben, bis sie das Nordufer erreichten. Dabei hatten sie ein halbes Dutzend Flüchtlinge an den Seiten des Bootes mitgezogen, die beinahe erfroren waren. In diesem Chaos hatten sie keine Chance gehabt, Dybel, Enklar und die Wachen zu finden, selbst wenn ihnen der Übergang gelungen wäre. Also waren sie auf Dardans Rat hin zum Turm des Seetores gegangen, durch das sie vor gar nicht allzu langer Zeit noch auf der
Molligen Muschel
entkommen waren. Sie hatten den Nordturm bestiegen, der während der Invasion der Untoten so hart umkämpft gewesen war. Von dieser Befestigung aus bot die Südstadt von Sejeend einen erschreckenden Anblick. Das Herz der kaiserlichen Stadt war zerstört und vollkommen von dem kriechenden Auswuchs verschlungen, der mittlerweile jeden Quadratmeter festen Bodens bedeckte. Die ganze Bucht bis zum Südufer des Vaale und weiter nach Westen lag unter diesem blassen, tödlichen Grau, aus dem nur die Ruinen eingestürzter Häuser wie zerbrochene Knochen herausragten.
Calabos, dachte sie verzweifelt. Was sollen wir tun?
Schritte kündigten Inryk an, der agil, wenn auch zerzaust auf die Plattform des Turms stieg, angewidert auf einen Blutfleck auf den Planken starrte und dann zu den drei Magiern hochsah.
»Ich habe Neuigkeiten.«
Dardan schnaubte. »Gute oder schlechte?«
»Einige sind unbestreitbar gut, andere nicht ganz so gut.« Er lachte bissig. »Je nach Stimmung könnte man sie auch als schlecht bezeichnen.«
»Dann hebt unsere Laune doch bitte zuerst«, forderte Tashil ihn auf.
»Dybel, Enklar und die Wachen leben. Ich bin gerade von einem Händler informiert worden, der in der Nacht angekommen ist und einige Stunden lang nach uns gesucht hat.«
»Das sind allerdings gute Nachrichten«, bestätigte Sounek. »Und dann kein Wort in Gedankensprache? Zugegeben, er ist nicht auf der Höhe. Und was, bitte sehr, sind die nicht so guten Nachrichten?« »Seine Allerhöchste Erhabenheit, Majordomo Roldur, erwartet Euer Erscheinen unten im Versammlungsraum«, erklärte Inryk sarkastisch.
»Pferdemist«, knurrte Dardan.
»Wie ist seine Laune?«, erkundigte sich Sounek. »Ist er wütend oder ruhig?«
»Ruhig«, erwiderte Inryk und beugte sich etwas vor. »Sehr ruhig.«
Sounek schüttelte den Kopf und schaute von Tashil auf Dardan.
»Er wird gewiss Antworten von Euch fordern, nach Eurer zweifellos überzeugenden gestrigen Vorstellung.« Dardan sah Inryk finster an. »Hat er eine Eskorte dabei?«
»Ja, etwa ein Dutzend schwer bewaffnete Wachen.«
»Das ganze Nordufer befindet sich in heller Aufregung«, erklärte Dardan beißend, »und er hat nichts Besseres zu tun, als uns zu drangsalieren.«
Sounek spähte über die zur Stadt gelegenen Zinnen und schnalzte leise mit der Zunge. »Ja, es sieht bedauerlicherweise so aus, als müsstet Ihr dorthin schwimmen. Ich frage mich, ob noch ein paar Piratenschiffe in der Nähe sind. Sie sind bestimmt dankbar für neue Rekruten … Tashil? Was habt Ihr…?«
Tashil schüttelte den Kopf und brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen, während sie versuchte, sich auf ihre Magiersinne zu konzentrieren. Sie war sicher, dass sie vor einem Moment den Anflug einer Gedankennachricht von jemandem wahrgenommen hatte …
…
Tashil, Dardan … schaut nach Osten …
Sie schöpfte wieder Mut.
Calabos?
Die einzige Antwort war absolute Stille in ihrem Verstand. Trotzdem trat sie an die seewärts gelegene Mauer und starrte auf den Horizont, der gelegentlich unter den Regenwolken aufblitzte, die sich in weiter Ferne von Nord nach
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