03 - Schatten Krieger
von der grauen Substanz verschlungen worden. Im Zentrum von allem befand sich die Schattenpforte, ein konischer Vorsprung mit einer dunklen, klaffenden Öffnung in seiner schrägen Flanke. Daneben hockte eine verhüllte Gestalt auf einem Stück Mauerwerk, das ebenso von der Fäulnis verschont geblieben war wie sie. Allerdings hätte ein Beobachter bei genauerer Betrachtung den grauen Hauch wahrgenommen, der den Block hinaufkletterte, und auch die grauen Striemen auf den Händen und Beinen des Mannes bemerkt.
Xabo-Jumil wusste, dass diese Substanz sich auch ihn am Ende einverleiben würde, so wie sie schließlich die Aura aufgeweicht hatte, die Vorik beschützte. Ja, dachte er, schon bald wird dieser falsche Körper verschlungen werden, und meine Essenz wird ins Nachtreich an den prächtigen Traumhof meines Gebieters gelangen. Dem Feldzug, mit dem sie diese Welt und all ihre Werke zu erobern suchten, war voller Erfolg beschieden. Die rasche Ausbreitung der grauen Fäulnis an den fünf vorgesehenen Orten hatte ihre Feinde überrascht und sich seit gestern Nachmittag sowie die ganze Nacht hindurch fortgesetzt, bevor die Fäule ihre eigenen Grenzen erreicht hatte oder an natürliche Barrieren gestoßen war, wie den Großen Kanal, der die Insel von Besh-Darok umgab, oder den Vaale, der Sejeend teilte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Voraustruppen der Schwarzen Horde aus allen fünf Schattenpforten preschten und die wahre Eroberung vorbereiteten.
Noch während Xabo sich zufrieden entspannte, nahm er eine Wesenheit wahr, die sich vom Meer her näherte. Er dehnte seine Wahrnehmung aus und bemerkte einige Aktivitäten unter den Wächter-Magiern am Nordufer des Vaale. Doch er achtete nicht darauf, sondern konzentrierte sich auf die abgerundete, graue Fläche der ehemaligen Hafenanlagen und Kais, an welche sacht die Wellen schlugen. Nur wenige Seevögel trauten sich näher heran. Er musste nicht lange warten. Ein tiefer, hallender Gong ertönte, und eine gigantische Gestalt brach durch die Wasseroberfläche. Sie war von einer wimmelnden Traube von Tentakeln umgeben. Das obere Ende dieses ungeheuren Gebildes öffnete sich am Ufer, und aus dem schleimigen Schlund trat eine vertraute Gestalt auf den von grauer Substanz bedeckten Strand. Xabo lächelte. Der Schattenkönig war zurückgekehrt. Ein unsteter Regen peitschte durch die Luft, als er am Rand der Palastruine auftauchte und sich den Weg hinein bahnte. Xabos gute Laune hielt an, als er die unmerklichen Veränderungen in der Haltung und Aura des Schattenkönigs bemerkte. Ein Beweis für Wachstum in dieser ewigen Essenz, gepaart mit neuen Erfahrungen. »Ihr seid sehr zielstrebig«, begrüßte er ihn. »Unsere Feinde glaubten, Euch zu fangen und zu besiegen, stattdessen haben sie Euch geholfen, zu wachsen. Wusstet Ihr zuvor schon von Grath dem Grenzenlosen?« »Ich wusste von ihm«, erwiderte der Schattenkönig und betrat die dachlose Kammer. »Aber nicht so, wie ich jetzt weiß.«
Xabo lächelte und fühlte, wie sich dabei die Haut über den Knochen spannte, wie bei einer schlechten Maske. Nichts anderes war dieses Gesicht ja auch. »Also seid Ihr hierher gekommen. Was begeht Ihr? Macht? Herrschaft? Ihr könnt einfach auf das Eintreffen der Marschalle und Hauptleute des Generals der Dämmerung warten. Sie werden nur zu gern bei der Unterjochung dieser Welt mit Euch zusammenarbeiten.«
Der Schattenkönig sagte nichts, sondern sah ihn nur an, während er gemächlich über den grauen Boden zu der Schattenpforte schlenderte.
»Oder wollt Ihr mich töten?«, fragte Xabo. »Es wäre weder eine Überraschung noch ein echter Tod, bloß eine Beschleunigung des Unausweichlichen. Tötet mich, dann wird meine Essenz in das Nachtreich reisen, zu den prächtigen Traumhöfen meines Gebieters, der mir eine neue Gestalt geben wird, die meiner Stellung angemessener ist als dieser armselige Knochensack.«
»Ich werde nicht das Knie beugen«, sagte der Schattenkönig. »Ich werde mich nicht unterwerfen, und ich werde mich nicht vor dem Sturm verneigen. Ebenso wenig, wie er es vor mir tun würde.«
»Ah, Ihr begehrt alles«, folgerte Xabo. »Mein Gebieter, der Große Schatten, wird ebenso neugierig wie fasziniert verfolgen, wie Ihr mit den Besonderheiten des Nachtreichs fertig werdet. In meinen Augen kann ein solches Ringen nur fruchtbar sein, denn der Sieger wird gestärkt daraus hervorgehen, und von daher besser in der Lage sein, den Erfolg unseres Feldzuges zu
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