03 - Schatten Krieger
ein Geräusch von einem Karren hörte, der mit einer Plane zugedeckt in der Stallung stand. Als er nachsah, bemerkte er einen Arm, der unter der Segeltuchplane heraushing. Als er sie zurückschlug, sah er zu seinem Entsetzen sechs oder sieben Leichen, die achtlos auf den Karren geworfen worden waren. Er hastete sofort zur Schänke. Der Wirt saß im Hinterzimmer, aber noch bevor der Kurierreiter seine grausige Geschichte erzählen konnte, ertönten draußen Geräusche. Als er mit den anderen hinausstürzte, hörten sie nur noch das Rumpeln des Karrens, der über den Roten Weg nach Norden fuhr. In der pechschwarzen Nacht war an Verfolgung nicht zu denken, und am nächsten Morgen fanden sie auch keine Radspuren mehr, weil es in der Nacht heftig geregnet hatte.
Der Reiter erzählte seine Geschichte schlicht und undramatisch, deshalb wirkte sie beunruhigend überzeugend. Als Tashil dann in der nächsten Schänke einkehrte,
Zu den Fünf Königen,
und man dort die Geschichte einer gespenstischen Wahrsagerin erzählte, die aus einer gut besuchten Hafenschänke verschwunden war, hatte sie genug gehört.
Tashil verließ das Hafenviertel und ging nach Norden zu dem Kollegviertel, in dem sie wohnte. Ihre Zimmer lagen hinter ihrem kleinen Tinten- und Papiergeschäft im Obergeschoss eines spitzgiebeligen, dreigeschossigen Hauses, das sich auf halber Höhe der Griffelgasse befand. Diese schmale Gasse führte hinter einigen beeindruckenden Handelshäusern vorbei. Als sie um die Ecke in die Griffelgasse einbog, sah sie sich plötzlich einem räudigen Straßenköter gegenüber. Sofort erinnerte sie sich an die Begegnung mit dem verhexten Hund von letzter Nacht. Also blieb sie wie angewurzelt stehen und beschwor instinktiv einen abwehrenden Gedankengesang. Doch der Hund hatte nur an einem weggeworfenen verschimmelten Brotlaib Interesse, der auf der Straße lag. Bei ihrem Auftauchen klemmte er den Schwanz ein und gab Fersengeld. Erleichtert atmete Tashil aus und ging weiter. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie so rasch in Panik geraten war.
Sie trat durch den von einem Weidenbogen gekrönten Durchgang mit seinen verschlungenen Zweigen aus Hundsdorn und stieg die mit Eisen verstärkte Holztreppe hinauf, die an der Fassade des Gebäudes hinaufführte. Im obersten Stockwerk blieb sie stehen, überzeugte sich, dass ihre Gehilfin Maud den Laden ordentlich verschlossen hatte, und eilte dann über den kurzen Laufsteg zu ihrer eigentlichen Haustür, die sie nur benutzte, wenn ihr Geschäft geschlossen war.
Mit einem komplizierten Schlüssel öffnete sie die Tür, schlüpfte hinein und … spürte sofort, dass sich noch jemand oder etwas im Haus befand. Sie blieb einen Moment regungslos stehen und lauschte mit ihren Magiersinnen. Sie hörte das schwache Rascheln von Stoff auf Stoff, ein Atmen, das schneller war als normal, sei es aus Nervosität oder aus Furcht. Es kam weder aus ihrem Schlafzimmer noch ihrem Arbeitszimmer, sondern von weiter weg, vom Ende des schmalen Flures, aus ihrem Salon neben der kleinen Küche … Sie bereitete einen Gedankengesang der Abwehr vor, während sie aus ihren Halbstiefeln schlüpfte und barfuß durch den Flur schlich. All ihre Sinne sagten ihr, dass der Besucher keine magische Aura hatte, was sie angesichts der letzten Ereignisse dennoch nicht gerade beruhigte.
Sie blieb vor dem Salon stehen, stieß die Tür auf und trat zurück. Der Gedankengesang kreiste in ihren Gedanken, bereit, endlich losgelassen zu werden. In dem Zimmer war es dunkel.
»Wer Ihr auch seid«, sagte Tashil laut, »tretet vor, damit ich Euch sehen kann!«
Einen Moment passierte gar nichts, dann tauchte eine dunkle Gestalt in einem langen Mantel aus der Dämmerung auf.
»Du hast eine merkwürdige Art, Besucher zu begrüßen, Tash.« Sie erkannte die Stimme, noch bevor die Gestalt ins Licht trat. Es war ihr Bruder Atemor. Doch seine Miene wirkte merkwürdig leer und gehetzt. »Atti«, erwiderte sie, entspannte sich ein bisschen und ließ den Gedankengesang verklingen. »Was machst du hier? Warte, ist Vater … Ist er …?«
»Nein, Tash, der alte Akril lebt noch«, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage. »Er hat sich sogar eine neue Frau genommen. Das heißt, wir dürfen nächstes Jahr einen neuen Bruder oder eine Schwester willkommen heißen.«
Die Nachricht verärgerte Tashil, aber es war wie der Schmerz in einer alten Wunde.
»Du bist sicher nicht zu mir gekommen, um mir von Vaters neuester Eroberung zu berichten«,
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