03 - Schatten Krieger
Nacht um und schritt hinaus. Einige empörte Proteste wurden laut, doch der Minister schien sie nicht zu hören, als er gemessenen Schrittes den Audienzsaal verließ, flankiert von seinen Wachen. Zwischen den Angehörigen der vornehmen Familien brachen lautstarke Diskussionen aus, und die meisten ließen ihren Unmut an den Lakaien aus, die Erfrischungen reichten. Ayoni achtete jedoch kaum darauf, sondern drängte ihren Ehemann, seine Freunde und ihre eigenen Bediensteten hastig, dem Hohen Minister Mendalse zu folgen. Schon bald schob sich der gesamte Hochadel von Khatris über den Sonnenkorridor. Dabei handelte es sich um einen breiten, überdachten Säulengang, der durch die kaiserlichen Gärten führte und den Tagfried mit den Hauptgebäuden des Palastes verband. Der Boden war mit roten und taubenblauen Fliesen ausgelegt und wurde von Hängelaternen und Wandlampen, die in Gold und Messing eingefasst waren, hell erleuchtet. An den weißen Wänden hingen Spiegel, auf denen kunstvolle Bilder eingeätzt waren. In kleinen Nischen waren wundervolle Gemälde und Plastiken aus hellem Holz zu bewundern.
Der Korridor endete schon bald in einem anderen Gang, der die Große Halle umrundete, deren Seitentüren weit offen standen.
Das Oval der Großen Halle verengte sich zu dem Ende, an dem der gerade verwaiste Kaiserthron auf einem halbkreisförmigen Podest stand, zu dem ein Dutzend flacher Stufen aus blassblauem Marmor hinaufführte. Der Thron selbst war ein Lehnstuhl, der aus pechschwarzem Eisenholz gedrechselt und mit Silber und verschiedenen Kristallen und Halbedelsteinen geschmückt war. Er hatte die Form eines stilisierten Baumes, dem uralten Symbol der Kaiser von Khatrimantine, und bildete den Mittelpunkt der Großen Halle. Hier befand sich das Zentrum der Macht, und alles im Raum war darauf ausgerichtet. Die scheinbar schwebenden Pfeiler der hohen, gewölbten Decke, die massigen Stützpfeiler sowie die Verteilung der Lampen lenkten die allgemeine Aufmerksamkeit dorthin.
Ayoni sah jedoch keine Spur von Ilgarion, als der Graf und seine Gefährten eintraten und sich dem Podest näherten, wo sie bereits von anderen Mitgliedern des Hofstaates erwartet wurden. Herzog Byrceyn, der Hohe Minister des Tages, und sein Gefolge waren dort, die Fürsten von Broha und Narlaq, beide langjährige Verbündete von Ilgarion, eine Gruppe von Frauen und Männer in strenger, förmlicher Kleidung und blauen Dreiviertel-Masken, die, wie ihre geschulte Sicht ihr verriet, Magier waren, und eine weitere große Gruppe mit silbernen Halbmasken und grauen oder schwarzen Roben, welche Buch und Schlüssel trugen, die Insignien der Kaiserlichen Akademie. Zusätzlich waren Wachen in regelmäßigen Abständen in der Halle postiert, und eine Gruppe von Hofbeamten war in eine murmelnde Unterhaltung vertieft. Etwas abseits standen noch sechs oder sieben Männer in prachtvollen roten oder grünen Gewändern. Ihre dunkelgrauen Masken und bestickten Samtkappen verrieten ihren Status als wohlhabende Kaufleute und Händler.
Schließlich bemerkte sie, dass eine der Frauen in Herzog Byrceyns Gefolge eine auffällige Schmetterlingsmaske trug. Das musste seine Frau sein, Lady Fyndil, eine alte Freundin von Ayoni. Sie unterrichtete ihren Gatten, wohin sie gehen wollte, weil sie sicher war, dass sie von Lady Fyndil mehr über den Grund dieser Audienz erfahren würde, vielleicht sogar etwas über den geheimnisvollen Brief, und schickte sich an, sich durch die Menge zu drängen. Sie hatte nicht einmal die halbe Strecke zu ihrem Ziel hinter sich gebracht, als eine große Gestalt mit einer blauen Maske neben ihr auftauchte, ihr eine Hand auf die Schulter legte und sie höflich, aber bestimmt, an den Rand der Menschenmenge führte.
Sie erkannte mit ihren magischen Sinnen sofort den Erzmagier Tangaroth, und ebenso rasch begriff sie, dass dieses Gespräch vertraulich war.
»Gräfin«, begann der Erzmagier jovial. »Ich erbitte Eure Nachsicht für meine unschickliche Einmischung, aber ich will den Frieden dieser Audienz wahren. Der, wie ich fürchte, empfindlich gestört werden könnte, solltet Ihr versuchen, Euch Herzog Byrceyn zu nähern.«
Ayoni setzte ein amüsiertes Lächeln auf und schaute an ihm vorbei zu der Stelle, wo sich das Gefolge des Hohen Ministers des Tages um ihn scharte. Jetzt bemerkte sie Einzelheiten, die ihr zuvor entgangen waren. Die Männer, die sie für Lakaien in einer braunen Livree gehalten hatte, waren Gardisten, die eine Barriere zwischen
Weitere Kostenlose Bücher